Wo Elbe und Nordsee sich küssen
- eine kleine Wanderung an der Unterelbe im Januar 2019


Winterzeit = (meist) motorradfreie Zeit. Da muss ich meinem Bewegungsdrang auf andere Art und Weise nachgehen. Seit ein paar Jahren zählt tatsächlich eine sehr entschleunigende Fortbewegungsweise dazu: das Wandern. Also auf in die Wanderstiefel, auf zum Bahnhof, auf nach Cuxhaven, von wo aus ich zu einer ca. 18km per-pedes-Tour elbaufwärts bis ins Nordseebad Otterndorf aufbrechen möchte. Die Wettervorhersage kündigt zwar einen kalten, dafür sehr sonnigen Tag an.

Zunächst jedoch genieße ich die warme Luft im Zug nach Cuxhaven, und lege unterwegs eine stumme Musikeinlage à la „Knocking on Heaven’s door“ hin, als der Zug im so genannten Christkinddorf Himmelpforten hält. Wenig später ist Cuxhaven erreicht.

Vom Stadtzentrum sehe ich wenig, der Weg in Richtung Unterelbe führt zunächst mehrere Kilometer durch den Fischereihafen. Dass der so groß ist, hätte ich nicht gedacht. Halt, ich muss präzisieren: ich durchquere den Neuen Fischereihafen (Fertigstellung 1939). Hier geht es deutlich weniger touristisch und lebhaft zu als im Alten Fischereihafen, wo zwar auch heute noch Kutter ihren Fang löschen, die Atmosphäre dort zwischen den historischen Gebäuden aber stärker von Buden und Touristen geprägt ist.

Vorbei geht’s am ehemaligen Fischversandbahnhof, 1933-35 als Erweiterung des ersten Fischversandbahnhofs erbaut und heute unter Denkmalschutz stehend. In Spitzenzeiten wurden hier täglich über 100 Eisenbahnwaggons mit Fischprodukten beladen. Auch heute zählt Cuxhaven noch zu den größten deutschen Fischereistandorten.

     

Die Neufelder Straße zieht sich durch den Neuen Fischereihafen, wo sich Tiefkühlhäuser, Schiffsausrüster und Hallen für die Fischauktion und Fischverarbeitung aneinanderreihen. Hier wird heutzutage der Großteil des von Island und Grönland kommenden Fangs verarbeitet. Die an sich wenig attraktive Straße zeigt Lerncharakter: das königliche Grönland liegt offensichtlich in Cuxhaven; und die zurzeit herrschende Kälte muss aus dem hier ansässigen Cuxhavener Kühlhaus stammen. Aha.

Nach ca. 5km ist die Stadtgrenze erreicht, und ich kann endlich auf die Waterkant zusteuern. Aus der Ferne sind die Anlage und einzelne Produktionselemente der ehemaligen Cuxhaven Steel Construction zu erkennen, welche hier bis 2013 Fundamentteile und Komponenten für Offshore-Windkraftanlagen gefertigt hat.

Den Weg, den sich Fußgänger und Radfahrer teilen, führt auf den Landschaftspark Altenbruch zu. Angesichts der Temperaturen und den teils vereisten Wegen hält sich das Personenaufkommen doch sehr in Grenzen. Hier und da ein Hundebesitzer mit seinem Vierbeiner, und ein, zwei Radfahrer - das sieht im Sommer sicherlich anders aus.

Umso mehr kann ich die Idylle am Landschaftspark Altenbruch genießen, einer künstlich geschaffenen, ca. 4 Hektar großen Wasserlandschaft, die um 2010 als Ersatz für das aufgespülte Offshore-Gelände nebenan angelegt wurde.

     

Wesentlich älter sind da die Reste des alten Hadeler Seebandsdeiches aus dem 11./12. Jh., von dem ein kleiner Teil erhalten geblieben ist, und der heute als historisches Naturdenkmal und Anschauungsobjekt in den Landschaftspark eingebunden ist.

Eine eindeutige Attraktion: der kegelförmige Aussichtsturm. Von hier oben aus hat man einen herrlichen Rundblick auf den Landschaftspark, den Altenbrucher Hafen, die Dicke Berta (ehemaliger Leuchtturm und heutiges Standesamt), die angesiedelte Offshore-Industrie und - vor allem und natürlich - die Elbe. Die auf einer Infotafel aufgeführten Schweinswale sehe ich allerdings nicht …

Und auch sonst sehe ich reichlich wenig Lebewesen, von Möwen, Austernfischern und Wattläufern abgesehen. Wahlweise über den Elberadweg oder über die Deichkrone führt der Weg vorbei am Altenbrucher Strandbad und entlang am Altenbrucher Bogen in Richtung Otterndorf. Das andere Elbufer in Schleswig-Holstein ist mit bloßem Auge kaum auszumachen. Ca. 15km ist die Elbe hier, kurz vor der Mündung in die Nordsee, breit.

Die Containerschiffe, die von Hamburg aus die Elbe herunterkommen, wirken dennoch keineswegs wie verloren. Gigantische Dimensionen für ein Zeugnis von Wirtschaft und Konsum. Die größten Containerschiffe heutzutage können über 20.000 20-Fuß-Container laden. Eine für mich schier unvorstellbare Menge. Dass hier nicht nur Container-, sondern auch Wassermassen bewegt werden, lässt sich nach dem Passieren des Schiffs beobachten, als das Wasser mit kräftigen Wellen an die Deichkante zurückschlägt.

     

Der weitere Weg führt vorbei am Unterfeuer Altenbruch am Wasser, das gemeinsam mit dem Oberfeuer Wehldorf hinterm Deich die Richtfeuerlinie für elbaufwärts fahrende Schiffe bildet.

Mit dem Passieren des Glameyer Stacks und der sich darauf befindenden Navigationsbake Glameyer-Bake erreiche ich zumindest schon mal Grund und Boden der Gemeinde Otterndorf. Die Glameyer-Bake dient der Schifffahrt lediglich als Orientierungshilfe, und ist kein Leuchtfeuer im eigentlichen Sinne.

Auf den ersten Blick ist es nicht ersichtbar, aber hier am Glameyer-Stack kämpf das Ufer aufgrund seiner Krümmung gegen eine extrem hohe Erosion an, da durch die Gezeiten und insbesondere das bei Ebbe von der Nordsee her einfließende Salzwasser eine sehr hohe Fließgeschwindigkeit und damit extrem hohe Mehrfachbelastung besteht. Tatsächlich wird dieser Deichabschnitt als kritischster Punkt in der Deichlinie zwischen Cuxhaven und Otterndorf bewertet. Wie gut, dass heute keine Sturmflut zu befürchten ist.

Mein erklärtes Ziel, das Oberfeuer am Otterndorfer Hafen, ist schon in der Ferne sichtbar, der Weg bis dorthin zieht sich aber noch ein elendiges Stück hin. Dennoch ist schon bald erkennbar, dass - zumindest außerhalb der Wintersaison - hier deutlich mehr los sein muss. Hinter dem Deich liegen Badeseen und Campingplätze, und zur Elbe hin zeugt ein Badestrand von entsprechendem Tourismus.

     

Mein riesiger Appetit auf ein Fischbrötchen - das habe ich mir jetzt aber auch redlich verdient! - endet leider in einer dicken Enttäuschung. Wo sonst im Sommer unzählige Fressbuden stehen, herrscht nun gähnende Leere. Nach einer kurzen Visite an der Otterndorfer Schleuse, wo die Medem in die Elbe mündet, schlage ich den - zugegeben zäh sich hinziehenden - Weg in Richtung Zentrum ein.

Halbwegs Befriedigung finde ich in einer Bäckerei mit angeschlossenem Café, wo ein Latte Macchiato und ein Berliner den ersten Hunger stillen.

Nach 18km Fußweg durch klare, kalte Seeluft schmeckt beides unglaublich lecker, und so mache ich mich wenig später müde und zufrieden auf den Weg zum Bahnhof. Endspurt gen Hansestadt. Und bei Himmelpforten halte ich die Finger still. Gefühlt war ich heute dem Himmel so nah.

Kleiner Wermutstropfen: erst im Nachhinein, bei der Recherche für diesen Kurzbericht, lese ich, dass Otterndorf eine bemerkenswerte historische Fachwerkhaus-Altstadt hat. Weil der Weg vom Hafen zum Bahnhof leider nicht direkt hindurch führte, blieb sie für mich - zumindest heute - unentdeckt.

Da muss ich wohl noch einmal hin.