Aus eigenem Antrieb - Auf dem Weserradweg unterwegs, Mai 2014

04.05.2014: Rollin' home - von Bodenwerder, OT Himmelspforte, nach Hameln, ca. 30km, zurück to hus


Die gute Nachricht gleich vorneweg: ich bin in der letzten Nacht nicht erfroren! Im Gegenteil, mir war durchweg muckelig warm - ich bin begeistert von meinem Schlafsack, den ich auf dieser Tour zum ersten Mal teste. Und als ich früh morgens die Nase aus dem Zelt stecke und den Raureif auf der Wiese und unseren Zelten sehe, verkrümele ich mich erst mal wieder bis zur Nasenspitze. Und trotzdem: es ist herrlich, so in der klaren Luft zu liegen. Ohne zu frieren, wohlgemerkt.

Die Begeisterung für diesen Campingplatz dagegen hält sich weiterhin in Grenzen. Wir hatten für um 8h30 Frühstück bestellt, doch wir finden nur einen leeren Tisch vor. Nach einigem Warten bekommen wir immerhin einen Pott Kaffee vorgesetzt.

Später folgen dann die Brötchen - bereits belegt und eine zentimeterdicke Schicht Butter kaschierend. Hmmmmja. Fällt in die Rubrik „Abhaken“. Ebenso wie das Zusammenpacken der noch feuchten Zelte, die - natürlich - in der kurzen Zeit des Frühstücks nicht getrocknet sind.

Um 10h15 sitzen wir im Sattel unserer 1-PS-Gäule. Dies scheint unsere Standard-Abfahrtszeit zu sein. Einen Lacher gibt es dann genau zu diesem Stichwort: Abfahrtszeit. Wir hatten am Vorabend noch über die Zugzeiten gewitzelt, da Kerstin von einer anderen Ankunftszeit in Hamburg sprach als ich. Nun stellt Iris beim Blick auf ihr Ticket fest, dass ihr Zug ab Hameln eine Stunde später als Kerstins und men Zug gebucht ist!

Bei bedecktem Himmel, kühlen Temperaturen und leichtem Gegenwind geht’s los. Bald haben wir die Münchhausenstadt Bodenwerder erreicht, doch da das Stadtzentrum auf der anderen Weserseite liegt, bleibt es von uns unbeachtet.

Wenig später erfolgt der erste steile Anstieg des Tages. Ich hoffe, dass es auch der letzte sein wird. Meine Muskeln sind noch nicht wach, und so ist bei mir erst einmal Schieben angesagt. Das geht ja schon gut los.

Bei Daspe legen wir einen kurzen Fotostopp ein. Kerstin und ich verfolgen amüsiert Iris’ Bemühungen, ihren kleinen Fotoapparat auf dem Rand eines Abfalleimers zu positionieren, um mit Hilfe des Selbstauslösers ein Gruppenfoto zu machen.

Erst später fällt mir ein und auf, dass am gegenüberliegenden Ufer Hehlen mit seinem gleichnamigen Schloss liegt. Erst kurz vor unserer Tour wurde im Fernsehen eine Reportage über das im 16. Jh. erbaute Wasserschloss gezeigt, das zwar im Privatbesitz und nicht zu besichtigten ist, in seinen ehemaligen Stallungen aber ein sehr nettes Café mitsamt Kaffeerösterei - „Die Kaffeewirtschaft“ - beherbergt.

Schade, es stand eigentlich auf dem „Wanna see“-Zettel, letztendlich waren wir aber eh außerhalb der Öffnungszeiten dort unterwegs.

Weiter geht’s durch das nun eher breite Wesertal bis Hajen. Hier zieht eine überlebensgroße Skulptur, bestehend aus vier so genannten Treidelschiffern und einem Kater, die Aufmerksamkeit auf sich. Das wollen wir uns natürlich näher anschauen und lesen schmunzelnd die Sage, die hinter dem „Katten“ Hajen steckt:

Als früher die Weserschiffe noch von Pferden und Menschen auf den so genannten Treidelpfaden gezogen werden mussten, stahlen eines Nachts die Treidelschiffer aus einem Gasthaus, in dem sie übernachteten, einen Hasenbraten. Daraufhin schwor der Wirt Rache. Als die Treidelschiffer wieder bei ihm übernachteten, ließ er einen Kater schlachten und braten. Auch diesen Braten stahlen die Treidelschiffer. Als der Wirt ihnen die Wahrheit erzählte und als Beweis das Fell zeigte, wurde den Treidelschiffern speiübel und kehrten nie wieder dort ein. Aber jedesmal, wenn sie an Hajen vorbeifuhren, miauten sie jämmerlich und laut.

Heute ist es dort sehr ruhig und wir machen uns wieder auf den Weg und haben nun für eine ganze Weile den wenig attratkiven Anblick des großen Kühlturms vom Kraftwerk Grohnde im Blick.

Hier wäre auch die Zeltplatzalternative zum Vortag gewesen, aber abgesehen von der wenig reizvollen Lage hätte ich die 12km mehr gestern nicht mehr strampeln wollen.

                       

Auch wenn wir dann vielleicht noch Zeuge einer Schafgeburt geworden wären: als wir an einer Schafherde bei Grohnde vorbeifahren, entdecken wir ein Mutterschaf, aus dessen Hinterteil eine blutige Blase hängt. Wir halten aufgeregt an.

Aber nach minutenlangem Warten, in denen das Schaf munter durch die Gegend stapft, erkennen wir, dass wir wohl doch zu spät an sind. Es scheint die Nachgeburt zu sein, die da noch zu sehen ist. Aber auch das entdeckt man ja nicht alle Tage.

Der weitere Streckenverlauf ist recht unspektakulär und überwiegend flach. Irgendwann erreichen wir die ersten Vorläufer der Stadt Hameln in Form eines Rudervereins, Kleingärten und eines nicht zu übersehenden Aurora-Silogebäudes. Und als ob es noch einen Höhepunkt auf dieser Etappe geben müsste, taucht plötzlich eine Fußgängerbrücke aus Holz mit richtig steilen Rampen vor uns auf, die es zu überwinden gilt.

Huh! Hier wird mir doch bewusst, wie wenig Kraft ich noch in den Beinen habe - nicht das Hochgehen ist mein Problem, sondern das Runtergehen. Wie gut, dass es Fahrradbremsen gibt.

Langsam nähern wir uns dem Zentrum der Rattenfängerstadt. Kurz vorm Hafen, an einem 1km-bis-zur-Stadtmitte-Schild ist ein Foto Pflicht für mich.

Währenddessen informiert uns ein einheimischer Radfahrer, dass heute in Hameln verkaufsoffener Sonntag ist. Wir sind gespannt - bei unserem letzten Hameln-Besuch vor einem Jahr herrschte absolut tote Hose.

Nicht so heute. Während wir uns durch die Gassen den Weg ins Zentrum suchen, schlägt uns laute Bassmusik entgegen. Auf dem Marktplatz verstehen wir dann auch warum: eine Modenschau findet unter freiem Himmel statt.

Die weiblichen Models laufen in luftigen Sommerkleidern bei arg frischen Temperaturen über die Bühne. Brrrrr, da helfen auch keine warmen Gedanken.

Anhand eines dort aufgestellten Bronze-Modells der Stadt Hameln en miniature machen wir eine kleine Stadtbesichtigung, beobachten noch das Glockenspiel mit dem ausziehenden Rattenfänger von Hameln und suchen dann etwas Ruhe und vor allem eine Einkehrmöglichkeit.

Die finden wir zufällig in einer kleinen Nebenstraße in einem der ältesten Häuser Hamelns. Hier ist das „Pfannekuchenhaus“, das mit einer ungezählten Anzahl von süßen und deftigen Pfannkuchen wirbt. Innen ist es unglaublich urig eingerichtet und dank eines befeuerten Kamins muckelig warm. Tut das gut! Und wie gut so ein Pfannkuchen erst schmeckt!

Frisch gestärkt und aufgewärmt brechen wir später zu den letzten Metern unserer gemeinsamen Tour auf. Der Weg zum Bahnhof führt an einem - geöffneten - Outdoorladen vorbei. Oder durch ihn hindurch, denn so ganz ohne Innenbesichtigung kommen wir nicht an ihm vorbei.

Am Bahnhof auf dem Bahnsteig angekommen wird ein sympathischer Mann von uns dazu verdonnert, ein Abschluss-Gruppenfoto unter’m „Hameln“-Schild zu machen. Beim Gedanken „Ziel erreicht“ kommen mir die Tränen. Es lässt sich so schwer in Worte fassen, welche Gedanken mir da gerade kunterbunt durch den Kopf gehen; sie lassen mich nicht unberührt.

Sentimentalität ist aber kurz darauf nicht angebracht, als die S-Bahn nach Hannover einfährt. Menschenmassen sind unterwegs, und wir müssen uns erst einmal den Platz für die Fahrräder erkämpfen.

Iris ist übrigens mit von der Partie, nachdem sie sich beim Bahnpersonal vergewissert hat, dass sie auch mit ihrem Ticket diesen Zug nehmen darf. Schön, so haben wir noch etwas Zeit und Ruhe, die letzten Tage Revue passieren zu lassen.

In Hannover angekommen, werden wir mit den Massen aus der S-Bahn geschoben. Plötzlich ein Schrei von Iris „Wo ist meine Tasche?“

                       

Hä? Wie? Wo? Ein Satz in die S-Bahn, und Iris taucht wenig später mit einer ihrer Packtaschen auf, bevor hinter ihr die Türen zuschlagen. Puuuh, das ist ja nochmal gutgegangen.

Um unsere Fahrräder in der vollen Bahn besser zusammenstellen zu können, hatte sie eine ihrer Packtaschen abgenommen und ins Gepäckfach über unseren Köpfen gelegt. Aus den Augen, aus dem Sinn. Naja, Gottseidank nur „fast“.

In Hannover trennen sich unsere Wege. Kerstin und ich nehmen den IC nach Hamburg, das Einsteigen verläuft ein wenig panisch bis hektisch, da der Zug kaum Aufenthalt hat. Aber alles klappt prima, und Sitzplätze gibt’s auch noch. Endspurt!

Der wird allerdings bei Celle unterbrochen, weil laut einer Durchsage Kinder im Gleis spielen. Die Bundespolizei sei bereits im Einsatz. Kerstin und ich schauen uns an: „Iris?“ Aber sie wird wohl kaum von ihrem Arbeitgeber in den Einsatz geschickt worden sein.

In Hamburg trennen sich dann auch Kerstins und meine Wege. Wie schon auf dem Hinweg fahre ich das Stück von der S-Bahn Elbgaustraße bis nach Hause per Velo und schließe so langsam und bewusst den Kreis um mein gerade erreichtes Ziel.


Ich hätte nicht gedacht, dass ich alles so gut meistern würde.
Hatte tatsächlich befürchtet, dass ich nach z.B. den ersten 10 km schlapp machen würde.
Oder dass mir das Zelten auf den Keks gehen würde.
Oder dass ich Probleme beim Zeltauf- und -abbau, beim Rein- und Rausgrabbeln o.ä. haben würde (ok, ok, elegant sah das nun sicher auch nicht aus).
Oder dass das Rad mir einen Streich spielen würde (nach den Startschwierigkeiten hätte mich das nicht überrascht).
Oder dass die Mädels höhere Ansprüche, mehr Ehrgeiz hätten und ich dadurch Druck empfinden würde.
Oder ... oder ... oder ...
Stattdessen: Nichts von all dem.

Frau sollte manchmal nicht so viel denken...

Wie war mein Motto für 2014? „Auf ein Neues.“ Also los!



Ach ja, Kerstin meldet sich später auch noch: während wir uns abgerackert haben, hat sich der Packsack ihres Zeltes zu Hause ein faules Wochenende gemacht. :-)