Ein simpler UMfaller und seine Folgen - Verlauf einer persönlichen Odyssee


"Suchen Sie sich in Hamburg bloß einen Spezialisten, gehen Sie keinesfalls zum Hausarzt, der wird damit überfordert sein!", so die Worte der Ärzte in Höxter.

Mir gelingt es immer noch nicht so ganz, die Schwere der Verletzung zu fassen. Vermutlich, weil es von außen gar nicht so wild aussieht. Noch am gleichen Tag der Entlassung aus Höxter habe ich einen Termin bei einem Unfallchirurgen in Hamburg.

Als Problem entpuppt sich eine Wundstelle kurz oberhalb des Knöchels - dort, wo der Bruch offen war - die nicht so recht verheilen mag. Das liegt daran, dass direkt auf dem Knochen die Metallplatte liegt und sich darüber schon von Natur aus kaum Gewebe befindet und sich jetzt auch nur ganz schlecht entwickeln kann. Dass dies nicht der einzige Grund ist, zeigt sich später.

Nach 2 1/2 Wochen in ambulanter Behandlung schickt mich mein Arzt zur Untersuchung ins Krankenhaus. Die stagnierende Wundheilungsentwicklung und damit dauerhaft vorhandene Gefahr einer Infektion lässt ihm keine Ruhe, er möchte eine zweite Meinung einholen.

Am Freitag, 09.08., erfolgt in der Asklepios Klinik St. Georg (AK St. Georg) in Hamburg eine Voruntersuchung durch Ärzte der Unfallchirurgie und der Plastischen Chirurgie. Man nimmt sich Zeit, kümmert sich um mich, gibt mir ein vertrauensvolles Gefühl zu wissen, was man tut.

Das durchgeführte CT zeigt, dass in Höxter ein paar zu lange Schrauben zur Fixierung der Schienbeinplatte verwendet worden sind. Diese sollen am folgenden Mittwoch, 14.08., in einer kleinen OP ausgetauscht werden, die Wunde dann zunächst mit einem Vakuum-Verband und einer so genannten VAC-Pumpe versehen werden, um sie keimfrei zu halten.

Plan ist, schließlich die Wunde am Schienbein mit einer so genannten freien Lappenplastik zu deckeln. Eine aufwändige OP, bei der ein mehrschichtiger Lappen von einer geeigneten Körperstelle - meist aus dem Oberschenkel, alternativ aus dem Rücken - mitsamt Arterien und Venen entnommen wird, um in mikroskopischer Arbeit die Gefäß an der Wundstelle mit entsprechenden Gefäszlig;en zu verbinden und dem Lappen dementsprechend eine gut durchblutete Versorgung zu gewährleisten.

Soweit der Plan.

     

Ein chronologischer Abriss dessen, was dann folgt:

14.08. / OP 1: um 7h00 Einfinden im AK St. Georg, anschl. OP zwecks Schraubentausch und Anlegen der VAC-Pumpe
19.08. / OP 2: Wechsel des Vakuum-Verbandes und der VAC-Pumpe, kurz VAC-Wechsel
22.08. / OP 3+4: Transplantation einer Lappenplastik vom linken Oberschenkel zur Deckelung der Wunde auf dem rechten Schienbein; erste Komplikationen wenige Stunden nach der OP
23.08. / OP 5+6: weitere Komplikationen in Folge der Lappentransplantation, Verlust der Lappenplastik wg. Thrombosen
28.08. / OP 7: VAC-Wechsel
02.09. / OP 8+9: 2. Transplantation einer Lappenplastik, diesmal vom rechten Oberschenkel, zur Deckelung der Wunde auf dem rechten Schienbein; weitere Komplikationen wenige Stunden nach der OP
03.09. / OP 10: weitere Komplikationen in Folge der Lappentransplantation, der Lappen kann aber zunächst gerettet werden
06.09. / OP 11: Entfernung der Lappenplastik wg. erneuter Thrombose; es folgen intensivste Blutuntersuchungen auf ganz bestimmte Faktoren hin - die Ergebnisse zeigen eine genetische Mutation von Gerinnungsfaktoren im Blut (Faktor-V-Leiden, Faktor-13-Mangel, Protein-S-Mangel); somit kommt eine weitere Lappenplastik als Lösung nicht mehr in Frage
12.09. / OP 12: VAC-Wechsel
19.09. / OP 13: die Schienbeinplatte wird entfernt, nachdem die Ärzte über einer neuen Lösung gebrütet haben; stattdessen soll ein Marknagel durch den Schienbeinknochen geführt werden, die Wunde letztendlich nur mit einer dünnen Spalthaut gedeckelt werden
25.09. / OP 14: Einsetzen des Marknagels durch den Schienbeinknochen; hierzu wird die Patella-Sehne längs gesplittet und der Nagel unterhalb der Kniescheibe von oben durch den Knochen geführt und mit mehreren Schrauben fixiert
30.09. / OP 15: VAC-Wechsel, der letzte
02.10. / OP 16: Deckelung der Wunde am Schienbein mit Spalthaut, die vom rechten Oberschenkel entnommen wird; die Stelle sieht später aus, als ob man mit der bloßen Haut auf dem Asphalt gebremst hätte


Nach zwei Monaten Aufenthalt im AK St. Georg geht's am 18.10. nach Hause. Es ist ein komisches Gefühl, nach der langen Zeit und zumeist zwangsweise liegend wieder an der frischen Luft zu sein; Hamburg empfängt mich mit schönstem Sonnenschein und zeigt sich im bunten Blätter-Herbstkleid. Wo ist die Zeit hingegangen?

Zwei Tage sind mir zu Hause vergönnt, bevor es weiter in die stationäre Reha nach St. Peter-Ording an der Nordseeküste geht. Ich möchte unbedingt selbst meine Klamotten für den nächsten Auswärtsaufenthalt auswählen und vor allem mal wieder in Privatsphäre ein Bad benutzen.

Meine Wohnung kommt mir nach der langen Zeit regelrecht fremd vor; alles ist beschwerlich und so bin ich richtig froh, als ich am 21.10. zur BG Nordsee Reha-Klinik in St. Peter-Ording abreise. Kurs "Gesundheit!"

Insgesamt fünf Wochen intensives Training und eine gute Betreuung lassen mich eine gewisse Mobilität wiedergewinnen, die Ausflüge an den Strand sind hart erkämpfte, ermüdende und doch sehr befriedigende Erfolge über den eigenen Körper.

Zwischendurch muss ich schmunzeln, als ich daran denke, was ich mir letztes Jahr an Silvester als Motto für 2013 vorgenommen hatte: "Das wird mein Jahr der Begegnungen."

Dass diese Begegnungen in Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen stattfinden würden, war allerdings nicht beabsichtigt.

Am 25.11. geht's leider schon wieder nach Hause, zwei Wochen später beginne ich mit der ambulanten Reha "IRENA" im Rehazentrum Pinneberg.

Den Traum, an Weihnachten 2013 ohne Krücken zu sein, kann ich schon mal begraben, wie mir mein Arzt auf seine schonungslos direkte Art vermittelt.

Mühsam nährt sich das Eichhörnchen, und ähnlich empfinde ich auch die Fortschritte, die manchmal kaum wahrnehmbar sind.

Mein Motto für 2014? Ich weiß es nicht. Auch wenn es abgedroschen klingt, am besten passt zurzeit "Alles wird gut!"

Oder im Sinne von weiteren Reiseberichten: "Fortsetzung folgt ..."