Sonntag, 23.06.2013: Eine Odyssee beginnt - Bootshaus Beverungen - Höxter auf schnellstem Wege, ca. 19km


Ein Wochenende wird plötzlich ganz lang. Es ist schon morgens nicht mein Tag. Es hat geregnet und ich habe schlecht geschlafen und bin tierisch müde. Einen Teil der Klamotten packe ich schon vor dem Frühstück zusammen, nach dem Frühstück folgen Schlafsack, Isomatte und Zelt.

Aufrödeln und los geht's den schmalen Weg mit seinen zwei Serpentinen vom Bootshaus hoch zur Hauptstraße.

Was dann folgt, geht in seinem Ausmaß bis heute nicht in meinen Kopf rein. Heiko vorneweg, biegt rechts auf die Hauptstraße ab. Ich halte, schaue links nach dem Verkehr und spüre, wie sich das Gewicht der GS ganz langsam nach rechts neigt. Dabei hatte ich weder mit eingeschla-
genem Lenkrad hart in die Vorderbremse gelangt, noch hatte ich das Gefühl doof zu stehen.

Dem vergeblichen Versuch, die Fuhre aufzufangen, folgt der Gedanke "Oh Mist, jetzt kippt die GS zum ersten Mal um". Tut sie. Auf mich. Nix Neues, kenne ich mit der Hornet auch. Neu ist allerdings der Schmerz, der mich im rechten Unterschenkel durchzuckt und die Erkenntnis, dass ich meinen Fuss nicht mehr bewegen kann.

Kerstin ist sofort neben mir, ich sage nur "Schalt die GS aus, der Motor läuft noch!" (hat die keinen Neigungssensor?).

Ein Gast des Bootshauses ist ebenfalls zur Stelle. Ein Ersthelfer par excellence. Souverän handelnd und gleichzeitig mich beruhigend. Befragt mich wie es mir geht, was mir weh tut, fühlt den Puls, tastet vorsichtig hier und da, zieht mir den Helm ab, öffnet ein wenig die Jacke.

Gefühlt keine 10 Minuten später sind die Rettungssanitäter vor Ort, der Ersthelfer zieht sich unauffällig zurück, die Sanitäter übernehmen. Das Hosenbein wird aufgeschnitten ("Meine schöne Hose!" geht es mir durch den Kopf, "noch kein Jahr alt."), der rechte Stiefel ausgezogen. Zähne zusammenbeißen, das tut weh. "Offener Bruch" sagt einer der Sanitäter. Danke, das wollte ich gar nicht hören.

Ab auf die Trage, das Bein eingezwängt in so eine orange Kompres-
sionsmatte, ab in den Rettungswagen. Auf nach Höxter. Zwischendurch ein Stopp am Straßenrand, der Notarzt steigt hinzu. Muss er, denn aufgrund des offenen Bruchs wird eine OP nötig sein. Der Notarzt trifft die ersten Vorbereitungen und informiert entsprechend das Krankenhaus.

In der Notaufnahme im Krankenhaus von Höxter herrscht noch Ruhe. Hat wenigstens einen Vorteil, wenn man am Morgen verunglückt. Aufnahmegespräch, Tetanusimpfung (natürlich habe auch ich sie in den letzten 10 Jahren nicht auffrischen lassen), Röntgen (autsch, das ist noch einmal richtig schmerzhaft).

Ergebnis: Offene multiple Unterschenkelfraktur. Aha. Gespräch mit dem Oberarzt, der mich operieren wird. Blick auf die Röntgenbilder, aus denen ich die Schwere der Verletzung dennoch nicht richtig registriere. Ok, das Wadenbein ist einmal, das Schienbein mehrfach gebrochen, das Sprunggelenk hat auch einen Riss. Platten und Schrauben sollen es richten. Na, dann macht mal. Kann doch nicht so wild sein, war doch nur ein Umfaller!?

Gespräch mit der Narkoseärztin, die mir eine Rückenmarksnarkose verpassen will, da das Frühstück noch nicht lange genug her ist, ich folglich nicht nüchtern bin und das Risiko einer Vollnarkose somit zu groß ist. Inhalt aus dem Magen könnte in die Lunge geraten.

Hier bekomme ich zum ersten Mal ein wenig Angst. Fürchte mich vor den Schmerzen der Nadel in den Rücken und vor eventuellen Schäden eines eventuell falschen Treffers. Dass man vorher über mögliche Folgen und Schäden im Eiltempo aufgeklärt wird und der Narkose auch noch schriftlich zustimmen muss, beruhigt auch nicht wirklich. Als ob man eine Wahl hätte!?

Aber alles läuft gut. Die Narkoseärztin ist unglaublich nett, gemeinsam mit ihrem Kollegen verhilft sie mir zu einer entspannten Situation, die Nadel wird ohne Schmerzen angesetzt. Treffer. Nur 1 1/2 Stunden nach dem Umfaller werde ich in den OP geschoben.

Ein Kribbeln breitet sich vom Po über die Beine bis in die Fussspitzen aus. Die Narkose wirkt. Vor und über mir wird aufgebaut. Bald schaue ich auf einen grünen Vorhang vor meiner Brust und in die Decke des OP-Saals.

Die Narkoseärztin bleibt an meinem Kopf, setzt mir fette Kopfhörer auf, bald ertönen Robbie Williams und Gloria Estefan abwechselnd. Zeitweise auch mal ein Auszug aus einem Hörbuch. "Hilfe!" rufe ich, als plötzlich Volksmusik in meinen Gehörgängen dudelt. So stark wirkt die Narkose dann doch nicht!

Gegen 14h45 werde ich aus dem OP geschoben. Sorry Jungs, dass ich Euch das Mittagessen versaut habe. Eine Schwester mit getönter Brille kommt mich von der Station abholen. Ich halte die Brille für eine Sonnenbrille und sage laut "Oh, wie schön, ich komme auf die Station wo die Sonne scheint!" Dass sie eine Augenkrankheit hat und diese Brille immer trägt, registriere ich erst später.

Mit dem Aufzug geht's auf Station 8.3, Unfallchirurgie. Sie wird für die folgenden Wochen mein Zuhause. Und: alles nette Leute dort, ich fühle mich in der ganzen Zeit sehr wohl! Erst am 24.07., fast genau auf den Tag einen Monat nach dem Umfall, bringt mich der ASB im Auftrag des ADAC wieder ins 270km entfernte Hamburg. Endlich. Doch damit ist die Odyssee noch lange nicht zu Ende. Was folgt, wird mich allerdings weitaus mehr Geduld kosten als die 4 1/2 Wochen Krankenhausaufenthalt in der Ferne.