Samstag, 22.06.2013: Beverungen - Schloss Bevern - Solling - Gauss-Turm - Werra-Radweg - Beverungen, ca. 270km


Heute geht's querbeet durchs Weserbergland, aber wirklich querbeet! Nicht wirklich ausgeruht, aber dennoch zeitig stehen wir am nächsten Morgen vor der Gaststube des Bootshaus, um das Frühstück einzunehmen.

Das ist ein Grund, weshalb ich so gerne am Bootshaus Beverungen zelte: es reicht, Zelt, Isomatte und Schlafsack mitzunehmen. Gerödel wie Kocher & Co. kann man natürlich, muss man aber nicht einpacken.

Für kleines Geld wird hier ein reichhaltiges Frühstück angeboten. Nachmittags - sofern man vor Ort ist - kann man hausgemachte Torten schlemmen, und abends den Hunger mit teils deftigen Speisen zu kleinen Preisen stillen. Nur, jetzt ist noch nix mit Hunger stillen. Wir sind zu früh an, Frühstück gibt's erst in einer Viertelstunde.

Heiko bekommt in der Zwischenzeit noch ein paar Bemerkungen hinsichtlich nächtlicher Ruhestörung ab. Kein Wunder, dass auf dem Zeltplatz kein einziger Baum steht. Das Gespött steckt Heiko mit seinem ruhigen Gemüt locker weg.

Wenig später sitzen wir am Tisch und genießen Kaffee, Brötchen und alles, was ein Frühstückerherz begehrt. Nachdem ich meinen Tourguide-Part gestern erledigt habe, sehe ich dem heutigen Tag gleichermaßen entspannt wie gespannt entgegen.

Kerstin hat eine Tour geplant, und was dabei in Kooperation mit ihrem Navi herauskommt, kann immer ein kleines Abenteuer sein. ;-) Grob gesagt verläuft die Route zunächst in Richtung Norden, dann im Uhrzeigersinn via Osten gen Süden. Abgesehen vom Solling eine Ecke des WBL, die mir bislang unbekannt ist.

Los geht's! Wir satteln die Hühner und reiten allesamt auf GSen unterschiedlicher Generationen gen Beverungen, wo wir die Weser queren. In Lauenförde, Heimat des Bikerhotels "Villa Löwenherz", biegen wir gleich links parallel zur Weser in Richtung Meinbrexen ab. Die Weser verlieren wir aus dem Blick, als Kerstin zunächst in Richtung Derenthal, dann in Richtung Fürstenberg abbiegt.

In netten Kurven schwingt sich die schmale Straße erst den Berg hinauf, dann parallel zu Berg und Uferstraße bis hin zur Porzellanmanufaktur Fürstenberg im gleichnamigen Ort. Da wir im Vorjahr hier gestoppt hatten und jetzt weder Geldbeutel noch Gepäck Platz für feines Porzellan im gehobenen Preissegment bieten, halten wir uns heute nicht länger auf, sondern legen den ersten Kulturstopp wenig später in Bevern ein.

Hier befindet sich das Schloss Bevern, das zu den bedeutendsten Baudenkmälern der Weserrenaissance zählt. Die in 2012 neu gestrichene Fassade mit ihren zahlreichen, vielfach in Blau und Grau gehaltenen Verzierungen bezeugt dies.

     

Wir bummeln durch den Torbogen mit seinem alten massiven Holztor in den Innenhof des vierflügeligen, von 1603-1612 durch Statius von Münchhausen erbauten Schlosses. Als die Linie der Münchhausen im 17. Jh. ausstarb, ging das Schloss zunächst in den Besitz der Linie Braunschweig-Lüneburg über, beherbergte dann im Laufe der Zeit eine Knopffabrik, ein Erziehungsstift für elternlose Kinder, eine SA-Sportschule, eine Flüchtlingsunterkunft und letztendlich ein Möbellager.

Erst Mitte der 80er Jahre übernahm der Landkreis Holzminden das Schloss von der Gemeinde Bevern und schuf dort ein regionales Kulturzentrum.

Wir bestaunen die für das Weserbergland so typische Fachwerkbauweise ebenso wie den dank bedruckter oder bemalter Oberfläche optisch bestens ans alte Mauerwerk angepasste Behindertenfahrstuhl neben dem Treppenaufgang. Von einer intensiveren Schlossbesichtigung sehen wir ab, schließlich stehen wir erst am Anfang unserer Tour. Wer weiß, was noch auf uns zukommt!?

Lediglich der gratis zugänglichen, 1717 im Südflügel eingerichteten Schlosskapelle statten wir noch einen Besuch ab. Diese wird heutzutage häufig für Trauungen genutzt, wie man anhand der Innenaustattung schnell erkennen kann. Die für Kirchen und Kapellen typische Stille lässt ein wenig innehalten. Nach ein paar Fotoaufnahmen geht's weiter.

Wir fahren die wenigen Kilometer zurück bis Holzminden und schlagen dann den Weg in Richtung Neuhaus am Solling ein. Die verkehrsarme Straße schlängelt sich durch den Wald, stetig bergauf. Von 89m ü.NN. (Holzminden) geht's über den mehr als 500m ü.NN. hohen Solling, nach dem Harz Niedersachsens dritthöchstes Gebirge.

Der Höhenunterschied ist auch an den Temperaturen spürbar, oben im Naturpark Solling-Vogler, durch den die Strecke führt, ist es ziemlich frisch. Von Neuhaus kommend geht's in einigen Kurven über die höchste Stelle, bevor dann die Straße in einer wenig spektakulären Strecken-
führung durch viel Wald talwärts nach Dassel führt.

Hier halten wir uns gen Süden. Durch kleine Dörfer und über kleine und immer kleiner werdende Sträßchen zieht sich Kerstins Route durch die schöne Landschaft. Bei Eschershausen hört dann der Teer auf. Ein kurzer Stopp und fragende Blicke zwischen Tourguide und Mitfahrern: ein Aussichtsturm ist das Ziel des unbefestigten Weges. Klar, den nehmen wir mit, wir sind doch geländetauglich ausgestattet! Also: weiter geht's!

Aus einem ebenem Feldweg wird ein zerfurchter Ackerweg und schließlich ein wie von Wildschweinen durchwühlter Waldweg, der mittlerweile steil den Berg hinauf ins Nirgendwo führt. Eigentlich wollte ich doch VOR solchen Aktionen mal ein Enduro-Einsteiger-Training gemacht haben! Nun gut, geht es also gleich Hardcore zur Sache.

Ein erneuter Stopp, die Blicke nun doch eher skeptisch. Heiko verschwindet mit seiner GS im Wald um zu schauen, ob der Weg weiterführt. Hecke auf, Hecke zu, Heiko weg. Wenig später kommt er kopfschüttelnd zurück. Dann beginnt das für mich als sehr heikel, weil unerfahren und mitten im Hang, empfundene Wendemanöver. Jeder hilft jedem, und so stehen wir gefühlte Ewigkeiten später und etwas verschwitzt bald darauf wieder mit dem Gesicht zum Tal und beschließen einstimmig, die Aussicht von woanders zu genießen.

Über Uslar und Schönhagen drehen wir die Runde wieder in Richtung Solling, fahren an einem Schild "Erlebniswald" vorbei (hatten wir den nicht gerade intensiv kennengelernt!?) und nähern uns diesmal von Süden her Neuhaus. Noch einmal geht es über den Solling in Richtung Dassel und ich erlaube mir einen kleinen Spaß, als ich plötzlich den Weg über einen parallel zur Straße verlaufenden, aber etwas tiefer als diese gelegenen Parkplatz nehme. Mein Vorfahrer Heiko dreht sich etwas irritiert um, gesteht mir aber später, er hätte kurzzeitig die gleiche Idee gehabt.

Die Zeit sagt "Kaffeepause" und in Fredelsloh werden wir fündig: das Hofcafé Herbst-Hof ist ein echter Genusstipp für Seh- und Geschmackssinne! Über das Hofgelände verteilt sich eine liebevoll gestaltete Kunsthandwerkerausstellung, mal nur für Dekorationszwecke, mal auch zum Kauf angebotener Einzelstücke gedacht. Auch das Interieur verbreitet unglaublich viel Charme.

     

Der wahre Genuss folgt in Form einer reichhaltigen Kaffee- und Teekarte sowie selbstgebackenen Torten, bei denen wir die Wahl der Qual haben. Aber mit diesem Luxusproblem kommen wir gut zurecht, und bald sitzen wir, das Leben genießend, am Tisch, lachen über die Offroad-Einlage im Wald und sinnieren über den restlichen Tagesverlauf.

Der ähnelt dem bisherigen Tag: über kleine Straßen geht es über Moriagen und Hardegsen bis Adelebsen, wo wir eine kleine Ehrenrunde um die ehemalige Felsenburg Adelebsen, die im 17. Jh. zu einem Schloss umgebaut wurde, drehen. Der mächtige Wehrturm prägt das Ensemble aus dem 13. und 14. Jh., Besichtigungen sind leider nicht möglich.

Wir machen uns deshalb auf den weiteren Weg in Richtung Süden, queren in Dransfeld die B3, um den Hohen Hagen (480m ü.NN) zu erklimmen, dessen Spitze der 51m hohe Gaußturm, benannt nach dem deutschen Mathematiker und Astronom Carl Friedrich Gauß, krönt. Der Turm wurde ursprünglich zu Beginn des 20. Jh. aus Basaltstein gebaut, in den 60er Jahren dann durch die heute noch stehende Stahlbetonkonstruktion ersetzt. Wir bekommen diesen Turm allerdings kaum zu Gesicht.

Zum einen ist die schmale Straße von nahezu blickdichtem Buchenwald umgeben, zum anderen kringelt sich das Sträßchen dermaßen rund um den Turm, so dass die Aufmerksamkeit besser auf den Asphalt als auf die Umgebung gerichtet ist. Das macht Laune!

Beschwingt setzen wir unsere Route über kleine Straßen fort und wechseln vor Mollenfelde über die Landesgrenze von Niedersachsen nach Hessen. In der Nähe von Witzenhausen nähern wir uns so langsam dem südlichsten Punkt unserer Route. Zwischenzeitlich haben wir das Wesertal verlassen und befinden uns stattdessen an der Werra, die wenige Kilometer flussabwärts bei Hann. Münden mit der Fulda zur Weser zusammenfließt.

Hier ist es richtig idyllisch, ruhig, die meisten Verkehrsteilnehmer sind Radfahrer, die auf dem Werra-Radfernweg unterwegs sind. Wir legen eine Pause bei Zella im Werratal ein, packen ein kleines Picknick aus und erleben fast schlaraffenland ähnliche Verhältnisse, zumindest wenn man Iris betrachtet, die neben dem Picknick in ein Nickerchen fällt. Die gelassene Atmosphäre der Landschaft, die träge dahinfließende Werra ... alles überträgt sich auf uns. Herrlich! Doch irgendwann tickt die Uhr wieder lauter, wir haben noch ein paar Kilometer und Sehenswürdigkeiten vor uns.

An der Werra entlang geht's in Richtung Hann. Münden, doch bevor wir in die Stadt eintauchen, biegen wir lieber auf eine kleine Straße ab, die uns über Wiershausen, Meensen und Scheden in Richtung Norden auf die B3 leitet. Hui, hier geht plötzlich die Post ab. Soll mal noch einer sagen, Bundesstraßen seien langweilig gebaute Straßen!

     

Das Stück direkt hinter Scheeden in Richtung Dransfeld hat es mit seinen Kurven richtig in sich und animiert Auto- wie Motorradfahrer zu kleinen Rennen. Kerstin hat dabei das Glück, gerade noch vor dem Geschlängel einen Linienbus zu überholen. Dann ist es vorbei mit dem übersichtlichen Streckenabschnitt ohne Gegenverkehr, und Iris, Heiko und ich hängen eine Weile zähneknirschend hinter dem Omnibus, bis auch wir mit Vollgas überholen und die restlichen Kurven genießen können.

Gut, dass Kerstin am nächsten Abzweig in Richtung Löwenhausen wartet, sonst wären wir im Rausch dran vorbeigebrettert. Spätestens beim nächsten Stopp am Kloster Bursfelde kommen wir wieder zur Besinnung.

Ein wenig versteckt hinter einem ehemaligen Stallgebäude, das heute eine Pilgerherberge beheimatet, liegt die ehemalige, im 11. Jh. gestiftete Benediktinerabtei am Fuße der Weser. Die romanische Klosterkirche mit ihren hohen Doppeltürmen ist eine West- und eine Ostkirche unterteilt.

Insbesondere der Westteil mit seiner schlichten Ausstattung und den Wandmalereien aus der romanischen Zeit hat es mir angetan, so dass ich eine Weile hier verweile und die Atmosphäre einsauge.

Danach ist bei mir ein wenig die Luft raus. Eher gemütlich geht's auf kleinen Straßen über Berg und Tal zurück in Richtung Beverungen.

Bei der Anfahrt auf Trendelburg werfen wir nur einen kurzen Blick auf die gleichnamige, im 13. Jh. als Höhenburg erbaute Anlage und über der Weser thronendes Wahrzeichen der Kleinstadt. "Beim nächsten Mal", denke ich mir.

Über Haarbrück und den Mühlenberg nehmen wir die letzten Kurven für diesen Tag unter die Räder, legen kurz vorm Bootshaus Beverungen noch einen Tankstopp ein, um die Motorräder für die Heimreise am nächsten Morgen vorzubereiten.

Zufrieden und entspannt trudeln wir am Bootshaus ein und stoßen wenig später auf der Terrasse mit dem obligatorischen und lieb gewonnenen Zisch! auf den schönen Tag und Tourguide Kerstin an. Ok, für die Waldeinlage gibt's leichte Abzüge in der B-Note.

Meine Vorliebe fürs Weserbergland wurde heute wieder einmal vollstens bestätigt, nicht nur, aber auch aufgrund der neu gewonnenen Streckenkenntnisse. Es gibt immer noch und immer wieder viel zu entdecken und es wird definitiv nicht der letzte Aufenthalt hier gewesen sein.

Zugegeben, über die mangelnde Geräuschdämmung einer Zeltwand mache ich mir später doch noch Gedanken. Beneidenswert sind jene, die das überhaupt nicht stört. *seufz*

Gute Nacht, John Boy.