Montag, 21.05.2012: Bellevaux (Hochsavoyen) - La Chambre (Savoyen), ca. 250Km

Am Morgen war beim Blick in den Himmel schon zu erahnen, dass wir heute vielleicht dann doch mal ein wenig von dem so oft vorhergesagten schlechten Wetter abbekommen sollten: tiefhängende Nebelschwaden in der Luft, nasse Straßen - die Nacht war feucht gewesen.

Wir wollten uns heute in Richtung Grenoble begeben, bevor es am nächsten Tag in die Auvergne gehen sollte. Zunächst war uns der Wettergott wohlgesonnen. Der 1.613m hohe Col de la Colombière stand auf dem Routenplan, wobei wir nicht wussten, ob er bereits offen war.

Das Wetter in Frankreich schien uns bislang wenig sommerlich. Zunächst ging es hoch in Richtung Col de Ramaz (1.559m). Von hier sollte man sogar den Mont Blanc sehen können, beste Sicht vorausgesetzt.

Die hatten wir nicht, aber dennoch einen beeindruckenden Blick auf eine nicht ganz geschlossene Wolkendecke und das darunter liegende Tal. Wir fuhren über Cluses in Richtung Col de la Colombière, natürlich mit der Frage im Kopf "ouvert oder nicht?" In Le Reposoir am Fuße des Passes sahen wir dann erst ein mal ein rotes Schild "fermé". Was tun?

Wir entschieden uns trotzdem hochzufahren, und wenn es nur fürs Foto sein sollte. Zunächst begegnete uns auf der D4 kein Auto, obwohl die Straße frei war. Nur hier und da lagen ein paar von der Schneeschmelze auf die Straße gespülte kleine Gesteinsbrocken herum.

Und warum war der Col nun gesperrt? Kurz vor der Passhöhe kamen uns zwei Reinigungsautos der Gemeinde entgegen, die wohl die Straße am Säubern waren. Ich witzelte "Vermutlich drehen die unten das Schild auf ´ouvert´ um".

Erste! Wir zählten ganz bestimmt mit zu den Ersten auf der Passhöhe im Jahr 2012! Und genossen die Leere und die Ruhe. Schossen Fotos. Rutschten Schneefelder hinunter. Grinsten in uns hinein. Ich fühlte mich gut, einfach nur gut. Es war schön, hier zu sein!

Es ging hinab ins Tal, in Richtung Skigebiet Le Grand Bornand und Col des Aravis. Für mich ein Auffrischen von Erinnerungen: die D909 führte durch La Clusaz, einem Skiort im Hochsavoyen, in dem ich 1998 oder 1999 einen Wintersporturlaub verbracht hatte. Nun, so ohne Schnee sahen Skigebiete immer ganz anders aus und ich konnte nicht allzu viel wiedererkennen. Nicht schlimm, die Konzentration richtete sich eher auf das schlechter werdende Wetter, wobei nicht so ganz klar war, ob es nun dichter Nebel oder doch schon Regen war.

Auf dem Col des Aravis (1.486m) legten wir eine Aufwärm-Trocken-Kaffee-Pause ein, und spätestens hier begann für mich entspannter Urlaub fernab vom Alltag, als mein Chef, der sich nach einer turbulenten Dienstreise auf der Rückreise von Venezuela befand, mir per SMS mitteilte, dass er wohlbehalten in Frankfurt und somit in deutschen Landen eingetroffen sei.

     

Irgendwann hieß es wieder raus ins Feuchte, Trübe. Wir wollten den Cormet de Roselend über den Col de Pré noch in Angriff nehmen. Für mich bis dato alles Ortsbezeichnungen, die mir wohl in dem ein oder anderen Reisebericht mal begegnet waren, mir aber aufgrund mangelnder persönlicher Erfahrungen ohne klare Vorstellung vor Augen blieben.

Nun, die Auffahrt zum Roselend-Stausee war wohl einzigartig. Dumm nur, dass sie ausschließlich im Gedächtnis verankert bleiben wird. Hinter Arêches bei Beaufort kündigte ein Schild die Straßensperrung wegen Wald-/Baumfällarbeiten an. Seltsam, wenn da steht "in 300m Sperrung", fängt man ja nach 50m schon an langsamer zu fahren und nach dem Sperrgitter Ausschau zu halten. Ich fuhr vorneweg, Michael war am Filmen.

Als zunehmend Tannenzweige und Baumrinde auf der schmalen Straße lagen, wurde auch ich zunehmend langsamer, bis ich plötzlich stillstand. Ein ... ja, wie nennt man das? ... großer Bagger versperrte die Straße, seine hinteren Räder standen nahe am Abgrund, und an einer Kette am Bagger hingen Baumstämme. Ich fragte mich, weshalb das Teil durch das Gewicht nicht den Abhang runtergezogen wurde!? Michael und Rainer stiegen ab, beugten sich über den Abhang, aber kein Mensch war weit und breit zu sehen. Hm. Was nun? Da war definitiv kein Platz zum Durchfahren, aber wir hatten auch keine Lust umzukehren.

Ich stieg dann auch mal ab und warf einen Blick über die Kante ... und just tauchte ein junger Waldarbeiter auf, schaute zu uns hoch (jaja, Michael meinte hinterher, er hätte nur mich Frau gesehen - wo ich doch noch den Helm auf hatte) und signalisierte, ohne dass wir gefragt hatten, dass er uns durchlassen würde. Super, parfait, mille merci!

Sprach's und schwang sich auf den Bagger, um das eh schon nah am Abgrund stehende Teil noch ein Stück nach hinten zu bewegen, so dass die Hinterräder sich nun definitiv in den Abhang senkten. Uuuaaah, ich wollte gar nicht hinsehen und erst recht nicht Zeuge werden, wenn das Teil wegen uns abschmieren würde.

Aber ... der Platz reichte zum Durchhuschen. Nochmal ein Dankeschön-Handzeichen an den liebenswürdigen Arbeiter, und weiter ging's über den 1.748m hohen Col de Pré in Richtung Roselend-Stausee.

Hier auf der Höhe war erstaunlich wenig los - drei Autos, zwei Motorräder plus wir drei. Die beiden fremden Motorradfahrer fragten uns, ob man durch die Sperrung durchkäme, starteten dann aber aufgrund unserer Schilderungen gar nicht erst den Versuch.

Wir legten in dem urigen Refuge auf dem Pass eine Pause ein, wurden von einem sehr gut deutsch sprechenden und mit einer Schwedin verheirateten Franzosen in ein Gespräch verwickelt als er hörte, dass wir aus Deutschland kamen. So wie er uns briefte und selbst erzählte, wo er schon überall gewesen war, kam er uns wie ein Welten- pardon: Europabummler vor. Nur halt mit dem Auto. Puh, er war zwar nicht unsympathisch, aber doch ein wenig aufdringlich. Spätestens als ihm beim Erzählen das Essen aus dem Mund sprang, wollte ich Abstand gewinnen.

Welch eine Ruhe dagegen draußen. Und was für ein Anblick: die Berge rund um den Roselend-Stausee hüllten sich in eine tiefhängende Wolkendecke - oder war es Nebel? - der See schimmerte dafür umso grüner.

Mit dem schönen Anblick war es allerdings bald vorbei. Zum einen war die Abfahrt in Richtung Bourg-Saint-Maurice gesperrt, so dass wir den Weg über Beaufort ins Tal der Arly, grobe Richtung Albertville wählten. Und bald darauf setzte auch noch langsam Dauerregen ein, der uns - leider, leider - mit den schönsten Teil der Tour noch vermiesen sollte.

Wir entschieden uns für ein Stück Autobahn (A430/A43), um ein wenig Strecke zu machen. Hier gab es ein weiteres "Aha"-Erlebnis, aber wohl in erster Linie für Michael.

     

Wir hatten am Vorabend über Mautstellen gesprochen, und wie Michael und Rainer das immer handhabten: einer zahlt für alle, damit nur einer das Portemonnaie herauskramen muss. Also fuhr ich nun an der Mautstelle neben Michael, der mich mit großen Augen anschaute. Ja, was denn? Wenn einer bezahlte, konnte er doch auch gleich alle Tickets ziehen und behalten, oder nicht? Richtig, auch manN verstand die weibliche Logik und Michaels Sorge, dass die Schranke nicht auslösen könnte, bestätigte sich gottseidank nicht.

Bei Epierre verließen wir die A43 und wurden in La Chambre im Tal der Maurienne hinsichtlich der Zimmersuche fündig. Da Rainer aufgrund eigener Erfahrungen wusste, dass die Zahl der Hotels sich hier in Grenzen hielt, suchten wir auch nicht lange weiter. Das Hotel "L'Eterlou" bescheinigte laut Schild ein "Bikers welcome", und in der Tat durften wir die Motorräder im Innenhof in der Garage (besser: Schuppen) parken.

Die Zimmer dagegen empfand ich als weniger bikerorientiert, zumindest, was die Ablageflächen und Trockenmöglichkeiten für völlig durchnässte Klamotten und Stiefeln anging. Ein winziges Zimmer, ein noch winzigeres Bad - meines ohne Heizung, aber immerhin eine gute, weil nicht zu weiche Matratze. Nur, ich war mir angesichts der Prioritäten grad nicht so sicher, denn meine Daytonas waren mittlerweile durch und durch nass und ich wusste, dass sie nie und nimmer bis zum nächsten Tag trocknen würden.

Das Essen im Restaurant war ziemlich unspektakulär, leider weit entfernt von liebevoll zubereiteten und raffinierten Gerichten, aber immerhin: es machte satt. Auf einen anschließenden Verdauungsspaziergang hatte angesichts des Wetters niemand mehr Lust, stattdessen genehmigten sich die Herren noch einen Absacker im ... ja, was war das? Kein Séparée ... irgendwo zwischendrin.

Ich fiel müde ins Bett, mit einem ganz leisen Hauch von Optimismus auf besseres Wetter am Folgetag. Ich wollte für einen einzigen, für einen ganz bestimmten Moment wenigstens ein bisschen Sonne haben!