Dienstag, 22.05.2012: La Chambre (Savoyen) - Serrières (am Rhône, Dept. Ardèche), ca. 225km

Morgens der erste Blick aus dem Fenster ... und ich wollte die Augen am liebsten wieder schließen. Nach wie vor Dauerregen (Himmel, wo kommt das ganze Wasser her?), die Berge wolkenverhangen und ... was war das? Leichter Puderzuckerhauch bis auf die halbe Berghöhe runter. Brrrr, das sah nicht nach optimalem Motorradwetter aus. Ähnliche Vermutungen wurden am Frühstückstisch geäußert, und so wurde die Fahrt über den Col de Chaussy und somit Michaels einziger wirklich geplanter Schotter-abschnitt gleich mal von der Liste gestrichen. Während gegenüber vom Hotel ein Markt aufgebaut wurde, machten wir uns auf die Socken.

Als erstes Highlight des Tages stand die Serpentinenstrecke Montaimont - Montvernier an. Eine schmale Straße, diese D77b, mit schönen gleichmäßigen Kehren auf beeindruckende Art und Weise an den Berg gezimmert. Die Fotos im Internet fand ich toll, das aktuelle Wetter dazu allerdings weniger. Kurz hinter einem Kreisverkehr zeigte Michael links auf eine Bergwand. Ich sah einen Wasserfall und nickte.

Und nickte wiederholt, als er immer noch dahin zeigte. "Jaja, Wasserfall, hab ich doch gesehen". Ein kurzer Stopp und er meinte "Hast Du die Strecke gesehen?" Strecke? Welche Strecke??? Tatsächlich, da war eine Straße im Hang. Aufgrund des Baumwuchses mittlerweile mehr zu erahnen als zu sehen, aber hier und dort ließ sich tatsächlich eine Kehre erkennen. Montvernier, wir kommen!

Ziemlich eng (wehe dem Autofahrer, der Gegenverkehr hat), manchmal zwischen den Felsen hindurch, zum Hochwinden schön. Schade, so schade wegen des Wetters. Am Ende des Kehrenstücks stand, etwas oberhalb von der Straße, eine Kapelle - Chapelle de la Balme -, zu der ein Fußweg hinaufführte.

Michael stapfte los - seit wann war er ein großer Wanderer!? - und winkte uns kurz darauf von der Kapelle aus zu. Ah, so weit konnte der Weg dann nicht sein. Also hinterher, und es bot sich eine schöne Gelegenheit, einen Teil der Kehrenstrecke zu fotografieren, dem Regen zum Trotz.

Wir fuhren noch ein Stück weiter den Berg in Richtung Col de Chaussy hinauf, durch Montvernier durch - ich fragte mich, wie so oft bei der Durchfahrt durch solche Dörfer, was die Menschen hier so arbeiten und wo von sie leben - bis zu einer Galerie, von wo aus man eine sehr schöne Aussicht ins Tal hatte. Zugegeben, die wäre bei trockenem Wetter sicherlich noch steigerungsfähig und aktuell nicht wirklich einen Stopp wert.

Michael gab ein paar Regieanweisungen, und ab ging's unter den Augen der Kameras wieder talwärts. Auch runter lässt sich die Montvernier-Strecke sehr schön fahren, aber wie gesagt ... das Wetter. *seufz*

Nach einem Stück Hauptstraße nahmen wir über St. Jean de Maurienne das nächste Highlight des Tages in Angriff: Col de la Croix de Fer. Irgendeinen Pass mussten wir ja überqueren und wir waren gespannt, was uns angesichts der Wetterverhältnisse - Dauerregen im Tal bei nicht unbedingt sommerlichen Temperaturen - erwarten würde.

Aber halt, vorher stand ein anderes persönliches Highlight an: die spannende Frage, auf welche Zahl mein Tacho nach 99.999km umspringen würde: 0 oder 100.000??? Menno, ich hätte mir andere Umstände gewünscht. Mein Tacho war aufgrund des Dauerregens von innen leicht beschlagen, die digitale KM-Anzeige kaum zu erkennen. *grrr* Dazu hingen wir hinter St. Jean de Maurienne dann noch in einer Autokette, die hinter einem LKW den Berg hochkroch. Oh neee, das durfte nicht sein!

Wir schafften es, die Schlange zu überholen und ich befürchtete schon, dass ich 3 km später wegen der Fotoaufnahmen meines Tachos den ganzen Tross wieder an mir vorbeiziehen lassen müsste. Oh neee, so doch auch nicht!

Aber just 1 km vor dem großen Ereignis bogen wir von der Hauptstraße auf eine kleinere Straße ab in Richtung Col de la Croix de Fer, und ich konnte wenig später, wenn auch nicht mit dem erhofften Sonnenschein, die Tacho-Aufnahmen machen.

     

Ich quiekte regelrecht laut auf, als ich das mit großer Spannung verfolgte Umspringen des Tachos las: 100.000km! Eine sechsstellige Zahl. Wahnsinn! Da half auch das Einreden "Ist ja nur fürs Foto" nix - die Hornisse hat in Wirklichkeit schon 21.000km mehr auf dem Buckel.

Dem Wetter zum Trotz grinste ich erst einmal eine ganze Weile vor mich hin. Das verging mir aber bald, als wir uns langsam in die Höhe schraubten und ich im Bergdorf St. Jean d´Arviez, noch einige Kilometer vor der Passhöhe, eine Temperaturanzeige sah: +4°C ... das konnte mit jedem Höhenmeter nur schlechter werden! :-O

Und in der Tat, langsam mischten sich weiße Flocken zwischen die Regentropfen, und lösten diese bis zur Passhöhe vollständig ab.

Col de la Croix de Fer, 2.067m, er wird mir in ewiger Erinnerung bleiben: Schneetreiben und Michaels Ausruf "Das war spitze!" ... es passte für mich nicht so recht zusammen.

Ich hatte überhaupt kein Interesse, meine pitschnassen Handschuhe auszuziehen, um mich später mit kalten Fingern wieder in die Dinger zu quälen, und so blieb ich mehr oder weniger regungslos auf der Hornisse sitzen, während Michael filmte und Rainer fotografierte.

Mir ging nur die Frage "Moni, was tust Du eigentlich hier?" durch den Kopf. Aber siehe da, wir waren nicht alleine: ein mit Senioren besetztes Auto mit holländischem Kennzeichen fuhr langsam an uns vorbei. Die Insassen lächelten und winkten uns freundlich zu. Ja, die hatten gut lachen, die saßen trocken und warm.

Nun, half ja nix. Wir nahmen die Abfahrt auf der D926 in Angriff. Gottseidank blieb der Schnee nicht auf der Straße liegen und bald wandelte er sich auch wieder zu Regen. Wir fuhren auf der D526 via Allemond ins Tal und in Richtung Grenoble und hatten kurzzeitig Hoffnung auf ein paar Trockenphasen, denn der Regen hatte aufgehört.

Als wir uns allerdings Grenoble näherten, bot sich eine weniger schöne Aussicht - zum einen war die Fahrt über die Stadtautobahn nicht sonderlich attraktiv, zum anderen hing Grenoble ebenfalls im Dauerregen und wir legten - nicht gerade zur Begeisterung von Rainer - einen ausgiebigen Stopp bei McDo in Voreppe, direkt hinter Grenoble ein.

Was tun? Erstmal was essen und trinken. Und trocknen. Dann überlegen, bis wohin wir noch fahren wollten. Aufgrund des Wetters und ohne Hoffnung, dass die Klamotten noch eine Chance aufs Trocknen bekommen würden, sollte das nicht mehr allzu weit sein. Ich sprang noch einmal kurz raus in den Regen und holte mein Kartenmaterial aus dem Tankrucksack.

Wir beschlossen, auf ziemlich direktem Wege über die D519 in Richtung Rhônetal zu fahren, um auf der anderen Seite des Flusses, sozusagen am Fuße der Auvergne, eine Unterkunft zu suchen. Nicht zuletzt damit auch die Klamotten bis zum nächsten Tag ausreichend Zeit zum Trocknen hätten. Auf große Umwege hatte niemand mehr Lust.

Aber siehe da, je näher wir dem Rhônetal kamen, desto weniger wurde der Regen, und so landeten wir schließlich bei verhältnismäßig freundlichem Wetter in Serrières, direkt an der Rhône gelegen. Die Anfrage im ersten Hotel fiel negativ aus, keine drei Einzelzimmer verfügbar, doch die zweite Wahl war für uns schlussendlich auch die erste Wahl - besser hätten wir es im ersten Hotel gar nicht haben können!

Von außen ein wenig unscheinbar, erweckte das "Monhotel" innen nicht gerade den Eindruck eines 2**-Sterne Hotels, sondern einen deutlich gehobeneren Stil. Die Zimmer boten eine nette Kombination aus schlicht-modern-behaglich, noch nicht verwohnt ... und vor allem mit ausreichend Ablageflächen und einem grooooooßen Heizkörper im Bad, so dass die Hoffnung auf trockene Klamotten am nächsten Morgen durchaus berechtigt war!

Wir verabredeten uns für später, um erst noch eine kleine Runde durch den Ort zu drehen, und um ein Restaurant fürs Abendessen zu suchen.

     

Das Hotel bot zwar auch Abendessen an, doch da mir das zu sehr nach einem klassisch-simplen französischen Bar-Tabac aussah, wollte ich lieber was anderes suchen.

Dass dies noch zu einer mittelgroßen Odyssee per pedes führen würde, ahnte ich da noch nicht. Wir folgten zunächst den Schildern "Vieux Quartier" in der Hoffnung, hier auf etwas Tourismus und folglich Restaurants zu stoßen. Aber Fehlanzeige. Das erste Restaurant, dass wir dann in der Nähe des Bahnhofs fanden, war geschlossen. Das zweite ebenfalls. Das dritte, welches sich im Erdgeschoss des zuerst angesteuerten Hotels befand, sah unglaublich edel aus und es widerstrebte mir dort rein zu gehen. Hätte ich gewusst, dass die Odyssee noch längst nicht zu Ende war, hätte ich mich wohl anders entschieden...

Ha, ein Einheimischer, der wusste doch bestimmt was!? Ja, das Restaurant in der Nähe des Bahnhofs. Jaja, kannten wir, leider geschlossen. Und wie sah es auf der anderen Seite der Rhône aus? Ja, natürlich, da gäbe es auch Restaurants. So verließen wir das Departement Ardèche und wanderten über die Brücke und den Rhône ins Departement Isère nach Sablons. Der Ort sah allerdings auch nicht so aus, als ob er mit einer Menge an Restaurants aufwarten könnte. Ich hoffte vor allem, dass wir den Rückweg nicht im Regen antreten müssten.

Wir fragten uns ein wenig durch und stellten fest "Das wird hier nix." Entweder waren die Restaurants geschlossen (zu Wochenbeginn in Frankreich nichts Ungewöhnliches) oder aber einfach zu weit entfernt, um zu Fuß zu erreichen.

Also wieder auf ans andere Ufer. Mangels Alternativen landeten wir dann schließlich im zunächst verschmähten edlen Restaurant (ok, ok, es lag an mir), wo wir allerdings sehr freundlich empfangen wurden. Die Dame am Empfang erinnerte sich an uns vom Nachmittag und dachte wohl, wenn sie uns schon kein Zimmer anbieten konnte, dann wenigstens einen Tisch.

Kurz: es war ein sehr leckerer Abend und mit Sicherheit der piekfeinste Tisch, an dem wir in der ganzen Woche gesessen und gegessen hatten. Ich erinnerte mich an Pretty Woman ... das Besteck verwendet man von außen nach innen! ;-)

Der Weg zum Hotel war kurz und trocken, und irgendwann lag ich müde, aber zufrieden im kuscheligen Bett. Alles wird gut.