Samstag, 26.05.2012: Montbenoît (Doubs) - Johanniskreuz (Pfalz) - Trier, ca. 685Km

Heute stand endgültig die Heimreise an, aber zwischen Start und Ziel sollten noch ein paar schöne Vogesen-Kurven liegen. Und nicht nur eitel Sonnenschein, dem blauen Himmel zum Trotz. Wir saßen wieder zeitig auf unseren Motorrädern und kurvten durch das Doubstal, zeitweise zwischen wunderschönen Felsformationen hindurch. Wie schön, dass wir das Jura auch auf der Rückfahrt nicht ausschließlich im Transit nahmen, und so wurde ich mit dieser tollen Landschaft zum Abschied nochmals belohnt.

Ein Höhepunkt war ein Wasserfall - eigentlich viele kleine Wasserfälle neben- und untereineinander - irgendwo mitten in der Natur, zwischen Plaimbois-Vennes und Pierrefontaine-les-Varans. Richtig idyllisch. Zumindest einen Moment lang, bis plötzlich Motorengeräusch zu hören war und eins, zwei, drei, vier, ... mindestens 15 Motorräder auftauchten und schwungvoll auf den kleinen Schotterparkplatz fuhren.

Eine Horde gut gelaunter und schnatternder Schweizer, die sich das Naturspektakel nicht ganz so lang anschauten wie wir. Lag wohl daran, dass keiner eine GoPro hatte, mit der er Unterwasseraufnahmen machen konnte.

Michael stand derweil im Wasser - Goretex-Stiefeln sei Dank. Zugegeben, von hinten sah die Position eher aus, als ob er Wasser lassen, nicht aber Wasser filmen würde.

Wenig später ging´s weiter, wir wollten einen Milchkaffee-Stopp in Saint-Ursanne einlegen und fuhren am Doubs entlang, der - wie das so auf dem Weg in Richtung Quelle ist - schmaler und schmaler wurde. Michael hatte wieder die Kamera an und ich durfte mal wieder vorneweg fahren. Rainer verhielt sich diesbezüglich so zurückhaltend wie beim Berichtschreiben.

In Saint-Ursanne angekommen machte ich große Augen. Hier war die Hölle los im Vergleich zu unserem letzten Aufenthalt eine Woche zuvor. Wir parkten die Motorräder inmitten von anderen und ich hoffte, dass wir später nicht komplett zugeparkt seien, und ließen uns zum Kaffee nieder. Da das Frühstück schon eine Weile zurücklag, genehmigten wir uns auch eine Kleinigkeit zu Essen. Selbst die Männer waren "aus-gezehrt".

Bevor wir uns auf den weiteren Weg machten, sprang ich noch einmal schnell in den Kreuzgang, um ein wenig Atmosphäre einzusaugen. So schnell wie ich drinnen war, war ich allerdings auch wieder draußen. Kleine Kinder tobten lärmend im Innenhof, das verstand ich nicht wirklich unter Besinnung.

Weiter ging´s, wieder über den bereits bekannten Col de la Croix zurück, nun in Richtung Norden, um die Vogesen in Angriff zu nehmen. Wir hielten uns östlich von Belfort, als plötzlich ein Ortsschild namens "Bretagne" auftauchte.

Wie? Was war mit Michaels Navi los? Hatten wir uns derart verfahren? Natürlich befanden wir uns nicht in der westlichsten Region Frankreichs, sondern durchquerten einen gleichnamigen Ort, der - wie sollte es anders sein - prompt für ein Foto herhalten musste.

Mit einem Schmunzeln im Gesicht ging es weiter über Giromagny, doch das verwandelte sich bei der Auffahrt zum Ballon d´Alsace in ein grimmiges Zähneknirschen. Jede Menge Autos vor mir auf kurviger, unübersichtlicher Strecke - ich mag das gar nicht. Und Michael war - husch husch - an denen vorbei und auf und davon.

Mist, das Zugpferd verloren, hinter mir bzw. Rainer ein weiterer Motorradfahrer - das erzeugte in mir Druck und Motivation zugleich und so setzte ich nach und nach zu Überholmanövern an und hatte es irgendwann auch geschafft. Wie schön, dass Michael irgendwo auf der Strecke wartete und nicht schon bis zum Gipfel vorgeprescht war.

Dort genehmigten wir uns einen weiteren Kaffee, ich startete einen Versuch, meine Eltern in Trier und zugleich meine Unterkunft für die kommende Nacht zu kontaktieren. Es würde spät werden am Abend. Vielleicht gut, dass ich da oben keinen Empfang hatte. Es sollte noch später werden.

     

Ich weiß nicht, ob bei der für mich stressigen Auffahrt zum Ballon d´Alsace (1.247m) auch meine Gelassenheit auf der Strecke geblieben war. Auf jeden Fall erlebte ich auf der darauffolgenden Abfahrt in Richtung Col de Hundsrück (748m) ein regelrechtes "rien ne va plus". Der Kopf machte absolut nicht mehr mit und ich fuhr dermaßen grottenschlecht und angespannt, wie ich es schon ewig nicht mehr erlebt hatte.

Michael pochte aufs Filmen und signalisierte mir hartnäckig, dass ich vorfahren sollte, was ich mit einem ebenso hartnäckigen Kopfschütteln verneinte. Rainer verstand und hatte ein Einsehen, zog an mir vorbei nach vorne an die erste Position und bald waren die beiden aus meinem Blickfeld verschwunden.

Ich fuhr ganz gemütlich, aber deshalb keinen Deut besser, weil nach wie vor völlig verkrampft, den Berg hinab und hatte Tränen in den Augen. Die Anstrengung der letzten Tage machte sich doch bemerkbar. An einem kurzen Stopp signalisierte ich Michael, dass bei mir der Kopf nicht mitmachte und grad gar nix ging. Mit dem Ergebnis, dass er gefühlte fünf Gänge zurückschaltete und so den Berg hoch schlich, dass uns erst ein Trupp belgischer Motorradfahrer und schließlich noch ein Auto (!) mit belgischem (!) Kennzeichen überholte. Wie peinlich. Nun, diese Aktion besserte nicht gerade Michaels Laune und ... kurz: wir fuhren zwischendurch mal getrennte Wege.

Nach einem kleinem Intermezzo beruhigten sich erst hinter Le Markstein so langsam wieder die Gemüter. Ich hatte mein fahrerisches Tief überwunden, was ich Michael auch signalisierte. In deutlich flotterem Tempo zogen wir über die Route des Crêtes. Puh, ich war erleichtert, dass es bei mir wieder lief, hatte ich doch vorher zum ersten Mal in diesem Urlaub das Gefühl gehabt, ich sei ein Bremsklotz, ein Störfaktor, wohlwissend, dass wir noch viele Kilometer bis nach Hause hatten.

Die letzte Kaffeerunde in den Vogesen nahmen wir am Col du Calvaire (1.134m) - welche bezeichnende Örtlichkeit für die Restmissstimmung, die noch herrschte - ein. Ich erwischte dank Rainers Handy nun meine Mutter. Während ich sie darum bat, den Haustürschlüssel unter die Fußmatte zu legen - ich rechnete mit meiner Ankunft in Trier nicht vor Mitternacht - hörte ich von den Männern ein leises "Scheiße", drehte mich um und sah meine Hornisse am Boden liegen. Der Boden hatte unter dem Seitenständer nachgegeben. Es war definitiv nicht mein Tag! Die Schäden aber waren eher seelischer denn materieller Natur.

Eine Bemerkung von Michael mit Hinweis auf die noch zu absolvierenden Restkilometer und die fortgeschrittene Tageszeit (von wegen Rumtrödeln) brachte mich fast zum Platzen, zumindest zum abrupten Aufstehen. Ich machte mich fahrfertig, hatte schon den Helm aufsitzen, als Michael neben mir stand. Wenn Blicke töten könnten, wären wir in diesem Moment wohl beide tot umgefallen.

Es tat mir in diesem Moment sehr leid um diese Stimmung, nach all den schönen Tagen, und so kurz vor dem Ende. Was allerdings dann - streckentechnisch - folgte, war Balsam für meine Seele. Dank zweier Süd-Nord-Querungen der Vogesen kannte ich das folgende Stück über den Col du Bonhomme (949m) runter nach Ste. Croix aux Mines und die anschließende Fahrt über den malerischen Col de Fouchy (ich liebe diesen kleinen Pass mit seinen muckeligen 603m) recht gut und konnte es entsprechend laufen lassen. Bis nach Ste. Croix aux Mines filmte Michael wieder und als Zeichen meiner Gnade und Verzeihung um die Stimmung fuhr ich ohne zu murren vorneweg.

Anders dann am Col de Fouchy. Den wollte Michael sich wohl als Bonbon gönnen, schaltete die Helmkamera an und war nach drei Kurven aus meinem Sichtfeld verschwunden! Ich machte große und größere Augen, dachte, dass er doch mal irgendwann irgendwo noch zu sehen sein müsste!? Aber nein, auch auf der Passhöhe nicht, so dass Rainer und ich ohne Anzuhalten wieder bergab fuhren. Je länger die Abfahrt dauerte, desto mehr kamen mir Zweifel, ob ich ihn nicht doch übersehen hatte!? Himmel, der fährt wie von einem anderen Stern!

Er wartete auf der anderen Seite im Tal auf uns und ich war mir sicher: wäre er Raucher, hätte er in der Wartezeit eine Zigarette in aller Ruhe von Anfang bis Ende geraucht.

     

Die Fahrt ging zügig weiter über Le Hohwald, ich war fahrerisch wieder mit mir im Reinen. In der Nähe von Obernai fragte Michael, ob wir noch einen Flammkuchen essen wollten. Das Angebot war verlockend - aber mittlerweile brach die Dämmerung an und angesichts der noch zu absolvierenden Kilometer wollte ich lieber so viel Strecke wie möglich halbwegs im Hellen machen.

So ging´s auf die Autobahn (A35), um Strasbourg herum (gruselig, was für Rennfahrernachahmer in Autos dort unterwegs waren - Fahrbahnhopping kreuz und quer) gen Norden bis Seltz, kurz vor Lauterbourg, und von dort wieder über Land via Wissembourg und Bad Bergzabern in Richtung Johanniskreuz. Hier wollten wir ein letztes Mal Halt machen und uns verabschieden, da sich anschließend auf der Autobahn die Wege trennen würden.

Es war mittlerweile völlig dunkel geworden und ich hatte das Gefühl, nur noch zu funktionieren. War müde, ausgepowert und froh, dass Michael in einem sehr ruhigen Tempo eine liniensichere Spur zum Johanniskreuz vorlegte.

Dort waren wir natürlich zu der Uhrzeit die einzigen Motorradfahrer - keine Ahnung, ob wir überhaupt noch einen Kaffee bekommen hätten? Es war nach 22 Uhr.

Das Resümee des Urlaubs fiel kurz, aber herzlich aus: es waren sehr schöne Tage gewesen, befanden alle und die Männer waren beide der gleichen Meinung: sie würden mich jederzeit wieder mitnehmen. Puh, da war ich ja erleichtert. Nach dem heutigen Tag hatte ich doch so meine Zweifel gehabt.

Es folgten die letzten richtigen Kurven für diese Tour bis hinunter nach Hochspeyer, und dann ging"s ab auf die Autobahn, für Rainer in Richtung Mannheim, für Michael und mich in Richtung Kaiserslautern / Trier. Ein letzter Stopp an der Ausfahrt, an der Michael den Weg gen Idar-Oberstein einschlug. Ich versuchte nochmal, all meine Konzentration zu sammeln, um die letzten 70km bis Trier alleine und im Wachzustand zu absolvieren.

Das war dann schon ein komisches Gefühl, nach einer Woche Touren und über 3.000km plötzlich keinen rot gekleideten, absolut souverän fahrenden Vorfahrer mehr vor mir und keinen Wingman mehr im Rückspiegel zu haben!

Aber es ging, um 0h20 fischte ich den Haustürschlüssel unter der Fußmatte des Elternhauses hervor. Das Abladen erfolgte schnell, ebenso wie ich im Bett lag. Im Gegensatz zu den Vortagen war ich auch zu kaputt, um noch groß über den Tag und das Erlebte nachzudenken. Eine kurze SMS an die beiden Mit(st)reiter, dass ich wohlbehalten am vorläufigen Ziel angekommen sei, und dann war Endegelände.