Schon wieder reif für die Insel: diesmal Borkum im April 2014

Samstag, 19.04.2014: On the top again.


Der Tag beginnt mit schönstem Sonnenschein und einem reich gedeckten Frühstückstisch - handgestrickte Eierwärmer inklusive. Wann habe ich so etwas zum letzten Mal gesehen? Aber alles da, was das Frühstücksherz begehrt, und das sehr reichhaltig. Und so stärken wir uns, denn unser bzw. mein Ziel für heute ist die Spitze des 1879 erbauten, gut 60m hohen Neuen Leuchtturms.

319 Stufen führen hinauf zur Aussichtsplattform. Sozusagen 2/3 Hamburger Michel, den ich ja eigentlich auch noch auf der Liste der Gipfelstürme stehen habe. Los geht’s! Die ersten Stufen lassen sich gut laufen, Abstand und Höhe empfinde ich als angenehm, nicht anstrengend.

Nach der ersten Biegung höre ich Kerstin und Iris lachen und rufen „Es gibt einen Fahrstuhl!“ Was? In einem Leuchtturm? Nicht wirklich, oder? Und richtig, da hat sich jemand einen kleinen Scherz erlaubt - der gut ankommt.

Mit zunehmender Höhe verstummen Gespräche und Gelächter, das Unterfangen ist halt doch anstrengend, zumal die Stufen enger und steiler werden.

Kurzzeitig endgültig verstummen tue ich dann vor den letzten Stufen unmittelbar unter dem Leuchtfeuer: hier führt eine steile Eisentreppe mit großen Stufenabständen zur Plattform hinauf. Jetzt wird’s interessant! Kerstin nimmt meine Wanderstöcke, während ich mit beiden Händen das Geländer ergreife und mich mehr daran hochziehe als sonst was. Wie ich hier wieder runterkomme? Darüber mache ich mir erst später Gedanken.

Erst einmal bin ich glücklich und stolz, oben angekommen zu sein. Die Aussicht lohnt für die Mühen, weit geht der Blick über den Strand, die Seehundbänke, die Nordsee bis hin zu einer großen Offshore-Windanlage.

Ob das allerdings der erste deutsche Offshore-Windpark „alpha ventus“ ist, der rund 45km nördlich von Borkum mit zwölf Windenergieanlagen der 5-MW-Leistungsklasse steht, kann ich mir kaum vorstellen. Das würde eine ultragute Fernsicht bedeuten.

Rückseitig geht der Blick über das Inselinnere, allerdings herrscht auf der schmalen Plattform ein Gedränge wie zu besten Schlussverkaufzeiten, nur dass man sich aufgrund der Schutzgitter wie in einem Vogelkäfig vorkommt.

     

Das Shoppen holen wir dann wenig später nach, als wir in Richtung Strand bummeln. Nette kleine Geschäfte gibt es hier, in denen man nette kleine Dinge kaufen kann, die dann auch noch in einen kleinen Rucksack passen.

Auf dem breiten Strand schlendern wir zwischen Strandkörben, Strandburgenbauern und Drachensteigern durch und schlagen die grobe Richtung Seehundbänke ein, an die man bei Ebbe bis auf ca. 100m zu Fuß ranlaufen kann. Blauer, wolkenloser Himmel, strahlende Sonne, frischer Wind - das ist Urlaub.

Während der Mittagsrast in den Dünen erfahren wir dann auch noch ein Gesichtspeeling quasi pro natura: der Wind wirbelt den feinen Sand immer wieder auf, der sich hartnäckig auf der frisch im Gesicht verteilten Sonnencreme festsetzt.

Während meine beiden Mädels nach dem Picknick ein Verdauungsnickerchen machen, nehme ich das ein oder andere Sandkorn vor die Linse und bestaune, welche Vielfalt an Drachen überm Strand schwebt, und welcher Kraftanstrengung es manchmal bedarf, um diesen zu beherrschen. Bei dem ein oder anderen Teil würde ich wohl einen „Fliegenden Roland“ abgeben.

Später geht es über den Strand wieder zurück, am Neuen Leuchtturm vorbei bis in den etwas geruhsameren alten Ortskern von Borkum, der deutlich mehr Charme und Ruhe ausstrahlt als die mit Touristen überfüllte Fußgängerzone in Nähe der Strandpromenade. Kerstin führt uns in die „Borkumer Teestube“, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.

Hier herrschen Ruhe und Gelassenheit, fast schon britische Atmosphäre, was vielleicht damit zusammenhängt, dass man hier das Teetrinken regelrecht zelebriert. Allein das Studium der Teekarte ist schon ein Akt für sich. Nicht-Kenner wie ich sind mit solchen Werken überfordert! Nicht weniger leicht fällt mir die Auswahl aus der umfangreichen Windbeutel-Liste, doch zuguterletzt steht vor allen Dreien ein Stövchen mit Teelicht, darauf eine Kanne Tee, ein Schälchen mit ordentlich dicken Klüntjes (Kandiszucker) und - die Krönung - ein Windbeutel in einer Größe, dass man beim reinen Anblick das Gefühl eines ausgerenkten Kiefers bekommt.

Bekommt man natürlich nicht, sondern genießt diese unglaublich leckere Kreation aus feinstem Brandteig, Schlagsahne, einer darin versteckten Kugel Vanille-Eis und dem gewählten Belag - in meinem Falle: Sanddorn-Sirup. Genuss pur.

     

Aber der Tag ist noch nicht zu Ende, und so tauchen wir wieder in der Außenwelt auf, um den alten Ortskern weiter zu erkunden. Es geht am Rathaus vorbei bis zum ehemaligen Haus des erfolgreichsten Borkumer Walfängerkapitäns Roelof Gerritsz Meyer, dessen Grundstück mit einem Zaun eingefasst ist, der zunächst wie verwitterte Holzlatten ausschaut, sich allerdings als Walkinnladen entpuppt, die Meyer von seinen Walfangfahrten Ende des 18. Jh. mitbrachte.

Nur wenige Meter weiter, am Alten Leuchtturm von Borkum - aus dem Jahr 1576 stammend das älteste Gebäude von Borkum und gleichzeitig sein Wahrzeichen - wird noch mehr der Walfänger gedacht.

Im Schatten des 45m hohen Backsteinturms, dessen Leuchtfeuer 1879 bei einem Brand zerstört wurde, befindet sich der Seemannsfriedhof, der an die Tradition der Walfängerfamilien von Borkum erinnert. Neben den alten Grabsteinen und Kreuzen fällt mir vor allem die Muscheldecke auf, die anstelle von normaler Erde den Boden bedeckt.

Die Zeit schreitet voran in Richtung Abendessen, so dass wir uns auf den Rückweg in Richtung Strandpromenade machen, wo wir gegen 18h30 im Restaurant „Fischerman’s Keuken“ eintrudeln.

Welch ein Kontrast zum Vorabend: eine Bedienung, die auf Zack ist, Essen, das superlecker schmeckt. Gesättigt und zufrieden begeben wir uns später zurück in die Unterkunft. Was dann folgt, ist wohl die größte Enttäuschung des Tages. Osternachtfeuer oder Osternachtfeier? Die Wahl fällt auf die Osternachtfeier der kath. Kirche - auch, aber nicht ausschließlich wegen der herrschenden Kälte. Aber wir hatten uns alle etwas anderes erhofft, nicht zuletzt auch mehr Wärme.

Was um 21h00 stimmungsvoll beginnt - Entzünden der Taufkerze am Osterfeuer vor der Kirche sowie anschließender Einzug bei Kerzenlicht und lateinischen Gesängen ins Gotteshaus - endet sage und schreibe 2 1/4 Stunden später, nach vier Lesungen, einer Allerheiligen-Litanei, einer Firmung, einem schlecht eingespielten Chor und zahlreichen unterdrückten Gähnversuchen in ziemlicher Enttäuschung. So hatten wir uns das sicher nicht vorgestellt.

Iris kapituliert während der dritten oder vierten Lesung, Kerstin und ich halten tapfer durch aus … ja, welchen Gründen? Hoffnung auf Besserung? Höflichkeit gegenüber dem Firmling, zu dessen Feier wir ja auch eingeladen sind? Wie auch immer, ich bin froh, als ich gegen 23h45 im warmen Bett liege. Ereignis abgehakt.