Aus eigenem Antrieb - Auf dem Weserradweg unterwegs, Mai 2014

02.05.2014: Ein Wiedersehen - von Oberweser, OT Oedelsheim, nach Höxter, ca. 43km


Heute ist ein besonderer Tag. Nicht nur, dass es der kilometerreichste sein wird. Nein, heute er-fahren wir auch den Grund, weshalb wir die Route - abgesehen von der Erreichbarkeit mit der Bahn - so gelegt haben.

Unser aller WBL-Lieblingsort Bootshaus Beverungen steht auf dem Programm. Das ist fast schon so wie "coming home", wenn wir bei Familie Otto unser Zelt aufschlagen.

Spätestens seit meinem UMfall im vergangenen Juni ist die Verbindung zwischen uns so richtig herzlich und so steht es außer Frage, dass wir heute hier einen Zwischenhalt einlegen, der Streckenlänge zum Trotz. Schade, dass Beverungen so ziemlich in der Mitte unserer heutigen Tagesetappe liegt, sonst hätten wir hier übernachtet.

Der Campingplatz in Oberweser enttäuscht uns auch am Morgen nicht: ein reichhaltiges Frühstück erwartet uns, und so starten wir erst einmal entspannt schlemmend in den Tag. Meine Oberschenkel fühlen sich erstaunlich locker an, scheint der Reha-Sport also doch schon was gebracht zu haben.

Anschließend packen wir unsere „Hundehütten“ zusammen. Kerstin sucht sich einen Wolf: ihr Packsack, in dem sie das Zelt verstaut hatte, ist spurlos verschwunden. Alles drehen und wenden hilft nichts, er bleibt unauffindbar.

Wir beladen die Drahtesel und machen uns auf den Weg weiter weserabwärts. Uuh, beim Aufsitzen lässt mich mein Allerwertester doch deutlich spüren, dass die gestern aufgenommene Aktivität bislang ungewohnt war.

Um die „Gieselwerder Ecke“ und am "Galgengrund" vorbei geht es bis nach Lippoldsberg, wo wir mit der Fähre ans linke Weserufer übersetzen möchten. Während wir auf die Fähre warten - natürlich ist sie gerade am anderen Ufer - und uns den Text des neben der Straße in einen Felsstein gemeißelten Lieds der„Urdeutschen Weser“ zu Gemüte führen, beobachten wir zwei Jetski-Fahrer, die hier in die Weser einsteigen.

Brrrr, beim Anblick der beiden mit Neopren-Anzügen bekleideten Fahrer läuft’s mir angesichts der herrschenden frischen Temperaturen kalt den Rücken herunter.

Gottseidank wartet der Fährmann nicht auf weitere Fahrzeuge, sondern setzt prompt zu uns über - und begrüßt uns nicht nur gutgelaunt, sondern gibt uns auch Tipps für den weiteren Streckenlauf (z.B. welche steilen Anstiege wir vermeiden können). Zum Abschluss macht er noch ein Foto von uns Dreien.

Wenig später bestätigt sich sein Tipp, bzw. ich bin dankbar, dass wir nicht in der anderen Richtung unterwegs sind.

Bei Gewissenruh folgt zunächst ein Schild „Radfahrer bitte absteigen“, bevor es ziemlich steil bergab geht. Für zusätzlichen Nervenkitzel sorgt eine nicht einsehbare Einmündung einer Zu-/Ausfahrt der Fähre von/nach Wahmbeck. Wer hier nicht aufpasst, wird über den Haufen gefahren.

Überhaupt muss ich im weiteren Verlauf des Radwegs noch an den Fährmann zurückdenken. Nach Bad Karlshafen hin zieht sich die Strecke zäh und zunehmend steil den Berg hinauf. Wie war das mit den Streckentipps?

Während Iris locker-flockig in die Pedale tritt und oben am Parkplatz Zeit genug hat, um sich mit dem Fotoapparat zu positionieren, sind Kerstins und meine Gesichtszüge angesichts der Anstrengung nicht unbedingt entspannt lächelnd.

Puh, gottseidank ist die weitere Strecke nach Bad Karlshafen etwas abschüssig, und wir können die Zügel locker lassen. Bad Karlshafen, die nördlichste Gemeinde Hessens, ist auch als Soleheilbad und Barockstadt bekannt, doch wir halten uns hier nicht länger auf.

Während wir die Weserbrücke queren, um wieder ans rechte Weserufer zu gelangen, hören wir auf dem Wasser lauten Motorenlärm - und siehe da: die beiden Jetski-Fahrer tauchen auf. Sollten wir etwa tatsächlich schneller gewesen sein? Kaum zu glauben. Aber uns ist sicherlich wärmer als denen.

                       

Die Fahrt am rechten Weserufer lässt uns auf den Hugenottenturm auf der anderen Weserseite blicken, während unser Radweg unterhalb der Hannoverschen Klippen - eine Gruppe von sieben bis zu 75m hohen Buntsandsteinsäulen, die wir aber leider aufgrund der dichten Bewaldung nicht sehen können - bis Würgassen verläuft.

In Würgassen legen wir eine kleine Denkpause ein. Wir müssen wieder auf die andere Weserseite. Nur: sollen wir hier mit der Fähre nach Herstelle übersetzen oder die in der Ferne sichtbare Brücke nehmen?

Wir haben uns schon fast für die Brücke entschieden, als eine vorbei-
kommende Tourenradfahrerin anhält und fragt, ob sie uns weiterhelfen kann. Sie empfiehlt uns dann eindrücklich die Fähre, denn der Radweg zur Brücke sei fies ansteigend. Fies??? Och nööö, dann lieber nett.

Währenddessen wartet der Fährmann, der unser Zögern richtig interpretiert hat, geduldig auf uns. Seine Fähre ist eigentlich ein kleiner Kahn, und so ist es ein Akt, die Fahrräder dort reinzuhieven, aber ganz Gentlemanlike nimmt sich der Fährmann der Räder an. Wir sitzen schon auf dem umlaufenden Holzbrett („Bank“ trifft es nicht so wirklich) und wähnen uns bereits vom Ufer ablegend, als eine Gruppe von 6 Radfahrerinnen sich der Fähre nähert.

Wir machen große Augen: Wie? Die wollen doch nicht auch noch hier rein??? Doch, sie wollen. Der Fährmann gibt genaueste Anweisungen, wer wo zu sitzen hat und welches Fahrrad wie zu stellen ist, und schon sitzen wir wenig später eng gedrängt wie Schweine in einem Tierlasttransporter im Kahn - aber deutlich besser gelaunt als solche -, der vom Fährmann in aller Ruhe ans andere Ufer nach Herstelle gebracht wird. Es ist halt alles eine Frage der (An-)Ordnung.

Während der Überfahrt haben wir Zeit, einen Blick auf die über Herstelle auf einem Felsen thronende imposante Benediktinerinnenabtei sowie die direkt daneben liegende Höhenburg zu werfen. Auch noch ein Besichtigungsziel auf meiner persönlichen Landkarte, aber nicht heute.

Wir bleiben auf Wasserhöhe und strampeln auf das Bootshaus Beverungen zu. Das Wetter ist zwar grau, aber innerlich scheint die Sonne. Ich horche in mich hinein. Wie fühlt es sich an, an den Ort des Geschehens zurückzukehren? Eigentlich ziemlich normal. Erst einmal.

Iris tritt derweil wieder zügig in die Pedale und hält unsere Ankunft am Bootshaus mit dem Fotoapparat fest.

Als ich dann dort eintreffe, habe ich zwar keinerlei Bedürfnis, mir die UMfallstelle oben an der Straße anzusehen (wozu auch?), aber mir steigen doch die Tränen in die Augen. Irgendwie ist gerade ein Ziel erreicht.

Rund ums Bootshaus ist es sehr ruhig. Als wir an der Eingangstür stehen, wissen wir auch warum: Mittagsruhe von 12h00-14h30. Es ist gerade mal 12h50. Na prima, nicht ganz perfektes Timing. Was tun? Wir sind uns sofort einig: wir warten! Stören wollen wir nicht, und so setzen wir uns zuerst auf die zugängliche Terrasse im 1. Stock, nehmen aber wenig später einen windgeschützten Platz direkt vor der Eingangstür ein Stockwerk tiefer ein.

Da sitzen wir nun zu dritt wie Waldorf und Statler aus der Muppet Show, nur dass kaum Publikum zum Lästern vorbeikommt. Plötzlich geht die Türe auf, und Scholastika Otto, die Inhaberin, kommt heraus, begrüßt uns im Vorbeigehen wie normale Besucher und bleibt dann verdutzt stehen „Was macht Ihr denn hier???“ Das „Hallo“ ist groß, die Freude über das Wiedersehen ebenfalls.

Und - Ehre, wem Ehre gebührt - wenig später sitzen wir oben in der Gaststube und genießen Kaffee und ein Stück von Omas selbst gebackener Torte. Hmmmm, lecker!

                       

Gut zwei Stunden verweilen wir im Bootshaus und tauschen uns aus. Dann aber drängt doch die Zeit, schließlich haben wir noch ca. 17 Kilometer bis zu unserem Tagesziel Höxter zurückzulegen.

Es fällt uns schwer, das Bootshaus und seine Wärme zu verlassen. Draußen ist es nach wie vor grau und kühl, und ein leichter Gegenwind erweist sich als zäher Gegner. Dennoch: landschaftlich gesehen folgt ein schöner Abschnitt. Es geht vorbei an Schafherden mit kleinen Lämmern - was heißt „es geht vorbei?“

Wir sind so angetan von diesen wolligen Tieren, dass wir einen Fotostopp einlegen, als ob wir noch nie Schafe gesehen hätten. Am rechten Weserufer taucht bald das hoch über der Weser thronende Schloss Fürstenberg im gleichnamigen Ort und Sitz der gleichnamigen Porzellanmanufaktur, die drittälteste Deutschlands, auf.

Puh, was bin ich froh, dass wir am flachen, linken Weserufer unterwegs sind. Auf den Anstieg nach Fürstenberg auf knapp 200m Höhe hätte ich grad mal so gar keine Lust! Als linkerhand die Godelheimer Seenplatte auftaucht, weiß ich: Endspurt! Dies sind die „Vorboten“ von Höxter.

In Höxter angekommen, muss ich erst einmal noch ein Foto vom Bahnhof machen.

Das werde ich später an meine Eltern schicken, als Souvenir an ihre Bahnfahrt-Odyssee, die sie während meines KH-Aufenthalts dort im St.-Ansgar-Krankenhaus hatten.

Dann geht’s über die Brücke ans rechte Weserufer, wo wir ein kurzes Stück stromaufwärts fahren müssen, um den Campingplatz zu erreichen. Uns ist kalt, und ich freue mich schon: auf der Homepage wirbt der Campingplatz mit kleinen Holzhütten für kleines Geld. Das wäre jetzt genau das Richtige.

Nun, das haben sich andere wohl auch gedacht, denn auf unsere Nachfrage hin bekommen wir zu hören „Da hätten Sie früher an sein müssen.“ Natürlich alle Hütten ausgebucht. Man bietet uns eine größere Hütte mit mehr Komfort, aber auch zu einem höheren Preis an. Kostenbewusst wie wir sind, schlagen wir das Angebot aus und machen uns lustlos dran, unsere Zelte aufzubauen.

Na gut, freuen wir uns halt auf den nächsten Programmpunkt: einmal in der Woche wird auf der Terrasse in einer großen Pfanne Fisch gebraten. Und just heute ist dieser Tag. Juchhee, wir freuen uns auf Pannfisch mit Bratkartoffeln.

Doch die Freude hält sich in Grenzen, da - na klar - die wenigen Plätze drinnen in der Gaststube alle reserviert sind. Na prima, sonst verkrümeln sich die Camper doch auch in ihre Wohnwagen und Wohnmobile. Können sie das heute nicht auch tun?

Leicht verstimmt nehmen wir unser „Zisch“ draußen auf der Terrasse ein. Es mag angesichts der Kälte nicht so recht schmecken. Das tut dafür der frisch zubereitete Pannfisch umso mehr. Richtig lecker und eine echte Wohltat. Nachschlag garantiert.

Eine weitere Wohltat erfahren wir wenig später. Zwischenzeitlich hat leichter Regen eingesetzt, als der Inhaber des Campingplatzes an unseren Tisch kommt: eine kleine Hütte wäre frei geworden, ob wir noch umziehen wollten? Wir könnten die Zelte stehen lassen. Unser zunächst fragender Gesichtsausdruck wandelt sich schlagartig in Begeisterung. Ja, gerne!

Und - zack, zack - greifen wir uns unsere Schlafsäcke und Klamotten und ziehen in die kleine Hütte ein. Die hat zwar keine Heizung und ein breiter Türspalt lässt zusätzlich kühle Frischluft rein, aber wärmer und trockener als im Zelt ist es allemal.

Mein persönliches - und effektives - Aufwärmprogramm besteht in einer heißen Dusche. Anschließend grabbel ich sofort in meinen Schlafsack, dessen Temperatur-Komfortbereich ich lieben lerne.

Gute Nacht allerseits.