Mal wieder reif für die Insel: Rügen im März 2014

Samstag, 08.03.2014: Die weiße Stadt am Meer, gähnend leer.


Die Nacht war nicht ganz so schlafreich wie die davor - ob´s an meinen Zimmernachbarinnen lag? Wohl kaum. Allerdings sind diese längst vor mir auf den Beinen, als ich mich gegen 7h40 aus dem Bett schäle.

Am Frühstückstisch sehen wir uns wieder. Im Gegensatz zum Vortag hat sich die Anzahl der Gäste vervielfacht, Leben füllt den Raum. Meine Zimmernachbarinnen und ich tauschen uns untereinander aus, doch so ganz konkrete Vorstellungen für den Tag hat noch keine von uns.

Gegen 9h00 breche ich auf und zockele erst einmal in Richtung Strand. Die Luft ist heute klarer als am Vortag, der Himmel wolkenloser - man hat einen tollen Blick hinüber nach Sassnitz und auf die Kreidefelsen, die sich hell über der blauen Ostsee erheben.

Ich mache ein paar Aufnahmen, lasse das noch geruhsame Strandleben auf mich wirken und schlendere später durch die noch menschenleere Hauptstraße in Richtung Kleinbahnhof, wobei mein Weg wieder am Schmachter See längs führt.

Dies ist eine reizvollere Alternative als die Baustellen-Straße, die ebenfalls zum Bahnhof führt.

Im Park der Sinne, der mehr einem Skulpturenpark gleicht, spiele ich noch ein wenig mit der Kamera herum, doch ich bin pünktlich am Kleinbahnhof, um den Rasenden Roland um 10h40 zu erwischen. Ich entscheide mich für die Richtung Putbus - im Reiseführer wird die Residenzstadt auch als "Weiße Stadt" bezeichnet.

Warum, erkenne ich später vor Ort sofort: groß ist die Anzahl strahlend weißer Häuser und Gebäude im klassizistischen Baustil, die der Fürst von Putbus, Wilhelm Malte I., zu Beginn des 19. Jh. anlegen ließ.

Als ich im Zug sitze, sehe ich aber erst einmal nicht viel. Dichte Rauchschwaden ziehen am Fenster vorbei, der Heizer heizt der Lok ordentlich ein. Sieht man doch einmal was, so ist es eine sanft geschwungene Landschaft, Äcker und Wiesen, kleine Dörfer. Auch mal nur eine kleine Haltestelle der Bahn mitten in der Pampa oder aber ein von einem Pferd gezogener Bauernwagen. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

Ein wenig Ostalgie kommt zunächst auch in Putbus auf, als ich vom Bahnhof in die Marienstraße einbiege, die zu Putbus' bekanntestem Platz, dem Circus, führt.

     

Grobes, unebenes Kopfsteinpflaster und mindestens genauso uneben der Bürgersteig läuten einen steilen Anstieg ein. Wenige Meter weiter säumen hübsche, alte Villen im wilhelmistischen Bäderstil die Straße. Vor vielen steht eine Infotafel, die die Geschichte der Bauten erzählt.

Die Marienstraße mündet - wie viele andere Straßen auch - an ihrem oberen Ende in einen kreisrunden Platz, den so genannten Circus, dessen Mittelpunkt eine Parkanlage mit einem Obelisken zum Gedenken an die Gründung Putbus 1810 in der Mitte bildet.

Staunend gleitet mein Blick über diesen kreisrunden Platz, um den sich 16 Gebäude im klassizistischen Stil reihen. Der Circus Putbus, den Fürst Wilhelm Malte I. nach dem Vorbild des "Circus" im englischen Bath und diverser französischer Anlagen 1828 bauen ließ, gilt als der letzte einheitlich ausgeführte Rondellplatz in Deutschland und zählt heute als Meisterwerk der Architekturepoche des Klassizismus.

Die Anlage ist beeindruckend. Umso mehr erstaunt es mich, dass kaum ein Mensch zu sehen ist. Putbus scheint nicht wirklich ein Touristenmagnet zu sein. Kann man den Menschen nicht verdenken, die wohl das Strandleben vorziehen.

Vom Circus biege ich in die Deutsche Alleenstraße ein, die zum Marktplatz führen soll. Wie eine Hauptstraße wirkt die lange Gerade allerdings nicht, nur zur rechten Seite befinden sich Häuser, während links der Schlosspark dominiert und überhaupt außer Autos kaum Leben zu sehen ist.

Wäre nicht das Theater mit seiner prächtigen Fassade, wäre der lang gezogene, rechteckige Marktplatz kaum nennenswert. Mir vergeht allmählich die Lust am Besichtigen und Fotografieren, habe aber noch reichlich Zeit zur Verfügung, da der Rasende Roland nur im 2-Stunden-Takt verkehrt.

Ok, vielleicht hat der Schlosspark mehr zu bieten?

Laut Reiseführer sollen hier viele seltene Baumarten so sehen sein, Exoten wie Mammut- oder Gingkobaum. Leider gibt es keine Hinweisschilder auf dergleichen.

Auch die Schlosskirche, die ursprünglich als Kursaal errichtet und zwischen 1846-1891 tatsächlich als Tanz-, Speise- und Spielsalon genutzt wurde, zeigt sich eher unauffällig und farblos. Da sie auch noch abgeschlossen ist, verliere ich schnell das Interesse.

     

Das weckt dann eher das Wildgehege nebenan, aber selbst das Damwild gibt keine schönen Motive ab, allesamt kehren die Tiere mir das Hinterteil zu. Liegt das etwa an mir? Bislang konnte ich mit meiner knallgrünen Jacke doch immer Aufmerksamkeit erzeugen. Leichter Frust stellt sich ein.

Na gut, fotografiere ich halt Blümchen auf der Wiese. Die laufen wenigstens nicht weg. Am Schwanenteich und an der Seeterrasse, einziges Überbleibsel des 1962 zunächst gesprengten, dann abgerissenen Schlosses, geht es vorbei in Richtung Orangerie.

Auf einer Wiese ragen Metallpfosten aus dem Boden, die den ehemaligen Umriss des Schlosses kennzeichnen. Nach dem 2. Weltkrieg verfiel das Schloss, das bis 1944 Sitz der Fürstenfamilie zu Putbus war, zunehmend, so dass Ende der 50er Jahre der Abriss beschlossen wurde.

Die noch erhaltene Orangerie und das angrenzende Café machen auf mich keinen besonders einladenden Eindruck, so dass ich langsam wieder den Weg in Richtung Bahnhof einschlage. Das Wetter ist wunderschön, die Luft mild, die Sonne strahlt vom Himmel. Der Frühling liegt in der Luft und ich ... habe tierische Lust auf ein Eis, das ich mir dann auch genehmige. Das habe ich mir wohl verdient, was?

Die Strafe folgt auf den Fuß - naja, ehrlich gesagt steht Eis nun nicht auf der Fastenzeit-Blacklist - als ich an meiner Kamera den Verlust des Objektivdeckels feststelle. Somit weiß ich aber immerhin, wohin ich als nächstes fahren möchte. Es geht zurück nach Binz. Dort gibt es, soweit ich mich erinnere, in der Fußgängerzone einen Fotoladen.

Dumm nur, dass dieser schon geschlossen hat, als ich gegen 15h00 dort aufschlage. Das bessert meine Laune nicht wirklich, aber der Tag scheint mir noch viel zu früh, um nicht noch was anderes zu entdecken.

Da ich definitiv nicht mehr - wie eigentlich vor dem Rügen-Aufenthalt fest vorgenommen - bis zur Halbinsel Mönchsgut im Südosten gelangen werde, nehme ich Kurs auf Rügens zweitgrößtes Seebad, um wenigstens noch die Seebrücke von Sellin vor die Linse zu nehmen.

Eigentlich bin ich müde, und die Lust vergeht mir noch mehr, als ich die vielen Leute an der Bushaltestelle stehen sehe. Zumal ich weiß, dass sich in Sellin die zum Hochufer bzw. zur Seebrücke führenden Wilhelmstraße zäh den Berg hinauf zieht.

     

Eigentlich schade, dass ich nicht fotografieren mag, denn diese Prachtstraße mit ihren vielen Villen im typischen Bäderstil ist schon eine Augenweide. Am Hochufer und der Treppe hinab zur Seebrücke angekommen, schwenkt mein Blick erst einmal nach links. Ich suche noch einen guten Aussichts- bzw. Fotopunkt, um die Seebrücke schön in Szene zu setzen.

Aber die gefühlten 1000 Stufen hoch zum Hochufer reizen mich nun mal so gaaar nicht, so dass ich - Fahrstuhl sei Dank - doch den direkten Weg hinunter an den Strand nehme. Leider liegt die Seebrücke schon im Schatten.

Ich mache schnell ein paar Fotos und schlendere dann noch ein wenig am Strand entlang, "Steine gucken". Gerade bei Sellin liegen schöne Steine in allen Farben und Formen. Ich kann mich an so was nie satt sehen.

Natürlich muss ich mich davon irgendwann losreißen und zum Bus zurückgehen. An der Haltestelle treffe ich noch eine Mitbewohnerin der Jugendherberge, die ihren schlafenden, ca. 5-jährigen Sohn auf den Schultern trägt. So gut hätte ich es jetzt auch gerne.

Träge sitze ich im warmen Bus und mag ungern in Binz aussteigen. Der Hunger treibt mich noch einmal ins Brauhaus. Ich habe richtigen Kohldampf auf ein schönes Stück Fleisch ... und ein Bier. Diesmal aber alkoholfrei.

Mit glühenden Wangen sitze ich im proppevollen Gasthaus und genieße das Essen, während die Gedanken um den Tag kreisen. Ich formuliere schon die Worte für den Reisebericht, die ich dann wenig später in der JH noch abtippe.

Ein kurzer Plausch mit meinen Zimmernachbarinnen, die eine Wanderung über den Hochuferweg von Binz nach Sellin unternommen haben, und bald geht bei uns im Zimmer das Licht aus.

Die Füße qualmen, die Beine sind schwer, die Wangen glühen, das Innere leuchtet. Und ich bedauere, dass der Aufenthalt schon zu Ende geht. Das Programm für morgen ist diesmal leider klar - es geht to Hus.

Aber: heute ist nicht alle Tage ... :-)