Weserbergland in Slow Motion - oder WWLWBLWT (WinterWonderLandWeserBergLandWanderTour)

Ostersonntag, 31.03.2013: Tierisches Vergnügen - von Rohdental nach Hameln, ca. 23km


Frohe Ostern! Der Osterhase musste sich in diesem Jahr im Weserbergland mit dem Eierfärben bzw. -verstecken keine große Mühe geben.

Der morgendliche Blick aus dem Fenster verrät: es schneit mal wieder. Und ausgerechnet heute, wo mit ca. 23km die längste Etappe auf dem Programm steht. Vorausgesetzt, wir verlaufen uns nicht wieder.

Meine Beine fühlen sich ähnlich frisch (also gar nicht frisch) wie am Vortag an und ich frage mich, wie ich die Strecke bewältigen werde. Die Frage wird lauter, als wir nach einem guten Frühstück zur fast schon gewohnten Zeit um 9h20 von der Weinschänke Rohdental aufbrechen.

Anstatt allerdings den Weg in Richtung 232m hohen Baumengartenberg zu wählen, wie es die Karte anzeigt, entscheiden wir uns für die Variante am unteren Dorfrand und Fuße des genannten Bergs entlang.

Die führt uns zunächst über einen Acker, stößt dann aber gottseidank auf den eigentlichen Weserberglandweg, ohne dass wir irgendwelche Zäune und Hecken zu überwinden haben.

Mein Blick fällt auf ein Tier mitten auf einem eingezäunten Feld. Ein Schaf? Ganz alleine? Kann nicht sein. Es steht in ca. 50m Entfernung mit dem Rücken zu uns, dreht dann seinen Kopf in unsere Richtung.

Ein Fuchs! Und ein ziemlich großer dazu! Er ist allerdings auf ein Kennenlernen nicht besonders scharf und sprintet - husch, husch - ab ins Gebüsch.

Wir kommen gut voran, die Bedingungen sind ok, doch wenig später wird uns der Weg im Wald von einem rot-weißen Absperrband abgeschnitten. "Holzfällung. Betreten verboten. Lebensgefahr."

Aha. Aber bestimmt nicht an einem Ostersonntag! Wir ignorieren das Band geflissentlich und fühlen uns später aufgrund der frisch gesägten und bereits sauber gestapelten Baumstämme bestätigt.

Wenn doch immer alles so einfach wäre.

Kurz darauf stehen wir mal wieder ein wenig orientierungslos an einer Straße. Laut Wanderkarte müssten wir zunächst ein Stück die Straße hinaufgehen, um wenig später rechts in den Wanderweg einzubiegen, der dann parallel zur Straße verlaufen sollte.

Wir können von unserer Position aus nichts erkennen, zweifeln entsprechend an der Karte und unserem Orientierungssinn, laufen aber dennoch die Straße hoch, bis wir in einer Art Wendehammer für Waldfahrzeuge oder ähnlich schweres Gerät landen.

     

Grobe, tiefe Furchen statt ausgeschildertem Wanderweg. Zwar zweigt dort ein Waldweg in die anzustrebende Richtung ab, aber kein Schild ist zu sehen.

Was tun? Wir beschließen, dem Waldweg ein Stück zu folgen, der zunächst noch parallel zur Straße verläuft, sich dann aber von ihr entfernt und irgendwie immer unbegehbarer wird. Ein gepflegter, offizieller Wanderweg schaut doch anders aus, oder?

Wir verharren zwecks weiterer Überlegungen, als wir am Hang unter uns im Gestrüpp Bewegungen wahrnehmen. Ein kleines Rudel Wildschweine kommt die Böschung hinauf.

Ca. 25m hinter uns schießt ein dicker Keiler über den Weg, die Hauer gut sichtbar. Uuuh, mit dem möchten wir widerum keine Bekanntschaft machen.

Die anderen Tiere des Rudels bekommen wir nicht mehr zu Gesicht. Entweder verstecken sie sich noch im Gebüsch oder aber haben uns großräumig umlaufen.

Wir laufen auch ... und zwar zurück in Richtung Straße, von der wir gekommen sind. Dieser Waldweg ist uns doch wenig suspekt.

Um ein paar Meter zu sparen, suchen wir uns eine Abkürzung den Abhang hinunter. Hier ist eindeutig kein Weg, so dass wir mitunter vor unüberwindbarem Gestrüpp stehen und den ein oder anderen querliegenden Baumstamm zu übersteigen haben.

Aber alle Wege führen zum Ziel, und wir befinden uns irgendwann wieder auf der bereits bekannten Straße in Richtung Zersen, wo wir an der nächsten Kreuzung endlich zum ausgeschilderten Wanderweg zurückfinden.

Auch hier stehen wir wieder vor der Wahl: nehmen wir die anstrengende Variante über die ca. 300m hohen Moosköpfe oder wandern wir unten durchs Tal zur Baxmannbaude? Da beide Wege als offizieller Weserberglandweg ausgeschildert sind, entscheiden wir uns guten Gewissens für die Talvariante.

Die Baxmannbaude, eine kleine Waldschänke, die auch im Winter an Wochenenden bewirtschaftet wird, ist eine Anlaufstelle für Wanderer und Mountainbiker, doch wir haben kein Auge für sie übrig, sondern werfen unseren Blick auf den steilen Anstieg, der sich vor uns aufbaut.

Steigung, soweit das Auge reicht. Und Treppen. Von 169m ü.NN. geht es hinauf auf den 340m hohen Hohenstein, auch bekannt als Hohensteiner Klippen, einem Hochplateau mit 50m steil abfallenden Felsklippen.

     

Wir werden für diese schweißtreibende Anstrengung belohnt, als just oben auf dem Plateau die Sonne durch eine Wolkenlücke bricht und wir einen beeindruckenden Weitblick über das Wesertal erhalten.

Wir verschnaufen an diesem Felsenriff, an dem schon Germanen, Cherusker und Sachsen ihre Götter verehrten.

Dass die Germanen hier einst ihrer Frühlingsgöttin Ostara huldigten, weiß ich da noch nicht. Hätte ich angesichts der Schneemassen auch nicht geglaubt.

Und prompt als wir unsere Wanderung fortsetzen, fallen wieder ein paar Schneeflocken. Unglaublich.

Immerhin: der Osterhase war auch schon da, wie uns ein Schneemodell vor einer nahegelegenen Rasthütte beweist. Das macht den Weg bis ans Ziel aber auch nicht kürzer: noch über 15km bis nach Hameln. Und die höchste Erhebung, der 440m hohe Süntel, liegt noch vor uns.

Eine ganze Weile wandern wir über den Weserbergkamm, haben zwar kaum Höhenmeter zu überwinden, stapfen allerdings durch hohen Schnee, was das Wandern nicht weniger anstrengend macht.

Wir begegnen jedoch mehr Menschen als in den Tagen zuvor - Familienosterspaziergänge scheinen hier noch ein Brauch zu sein, der gepflegt wird.

"Süntelturm 20min." - das Schild macht Hoffnung, denn mit der höchsten Erhebung der Hohen Egge auf 440m ü.NN. erreichen wir den höchsten Punkt unserer gesamten Tour und wähnen uns dem Zielort Hameln bereits sehr nah.

Aber erst einmal muss der Süntelturm, ein um 1900 erbauter, schlanker, steinerner Aussichtsturm, erreicht werden. Der Blick auf den Weg löst einmal mehr ein fast fassungsloses "Hier müssen wir rauf???" aus.

Zwischen Tannen zieht sich ein schmaler, in den Schnee getretener Trampelpfad steil den Berg hinauf.

Das Ende ist nicht in Sicht. Ich schalte den Kopf auf Automatik-Modus um, stelle das Denken ab und verfalle in kurze Schritte, ohne mich von der Umgebung ablenken zu lassen.

Schon beim Mountainbiken hatte ich gelernt, dass es bergauf mit einer kurzen Übersetzung und schnellen Drehzahlen besser geht als in hohen Gängen.

     

Und so stehe ich etwas später am oberen Ende der Steigung. Die Pumpe geht, doch es ist immer noch kein Aussichtsturm in Sicht! Wie doof, das wäre doch wenigstens Belohnung und Ansporn zugleich gewesen!

Immerhin gestalten sich die letzten Meter zum Turm ohne größere Schwierigkeiten (aber die angegebenen 20 Minuten beziehen sich eindeutig auf Wanderer mit guter Kondition und bessere Wetterbedingungen!) und wir sind froh, als wir in der angeschlossenen Gastronomie ein Plätzchen zum Ausruhen finden.

Wir fallen mit unserem großen Gepäck auf dem Rücken auf, werden hier und da angesprochen ("Wo kommt ihr her? Wo wollt ihr hin? Wie lange seid ihr unterwegs?") und unterscheiden uns sicherlich von den meisten Tagesausflüglern, die ihre Autos wohl am nahegelegenen Parkplatz abgestellt haben.

Trotz aller Anstrengung und Schmerzen bin ich irgendwie auch stolz auf die Leistung, die wir in den letzten 2 1/2 Tagen erbracht haben. Dennoch: Lust, die 95 Stufen bis auf die Aussichtsplattform des Turms zu erklimmen, habe ich nicht.

Während ich eine leckere Karotten-Curry-Ingwer-Suppe verzehre, startet Kerstin einen Versuch, Socken und Schuhe zu trocknen.

So ziert das Gitter vorm Kamin im Vorraum bald ein "Stilleben" in Form von mit Gurtband fixierten Einlegesohlen, Socken und Wanderstiefeln, während Kerstin barfuß in ihren Gummiclogs in der Gaststube sitzt.

Wir wissen, dass wir den größten Teil der Strecke geschafft haben, befassen uns trotzdem für die letzten 7-8km nochmals intensiv mit der Karte, da wir den Weserberglandweg in Kürze verlassen, um einen Umweg von mehreren Kilometern zu sparen.

Denn während die eigentliche Etappe des Wanderwegs im Osten von Hameln endet, liegt unsere Unterkunft im Westen der Stadt. Vom Süntelturm aus geht es noch ein kurzes Stück über den Weserbergkamm, bevor der Weg bergab in Richtung Unsen führt. Ein letztes Mal geht es durch den hohen Schnee, bevor wir ab Unsen zunächst ein Stück parallel zur Straße auf dem Radweg nach Holtensen laufen.

Nach den vielen Kilometern durch überwiegend menschenleeres Waldgebiet kommt mir der Marsch durch die Zivilisation ungewohnt vor, der harte Asphalt unter den Füßen fühlt sich auch nicht wirklich besser an als der hohe Schnee.

Immerhin: hier erreichen wir die Stadtgrenze von Hameln, wie eine Steinsäule anzeigt. Was aber nicht heißt, dass wir schon am Ziel sind.

Noch liegen ca. 5km Fußmarsch vor uns, der aber ab dem Parkplatz Holtenser Warte wenigstens noch einmal ein gutes Stück durch ein Waldgebiet verläuft, bis wir an der Waldgaststätte Schliekers Brunnen endgültig in die Rattenfängerstadt Hameln eintauchen.

Doch der Weg bis zur Jugendherberge zieht sich unendlich lang hin, so dass wir glatt noch ein weiteres Mal an unserem Orientierungssinn zweifeln.

Gegen 18h30 erreichen wir völlig geplättet unsere Unterkunft, direkt an der Weser gelegen. Für die schöne Aussicht haben wir kaum ein Auge, sondern sind froh, dass wir ein Zimmer mit drei Doppelstockbetten zugewiesen bekommen, und folglich keine von uns noch großartig klettern muss. Wir haben fertig, aber so was von!

Abendessen? Keine Lust, keine Kraft, sich noch großartig fortzubewegen. Da wir noch ausreichend Lebensmittel in den Rucksäcken haben, gibt es kalte Küche auf dem Zimmer.

Bei mir gehen um 21h00 die Lampen aus. Ich bin vollkommen ausgelaugt, hätte mir diese Tour nie so anstrengend vorgestellt. Und dabei war ich mal sooo sportlich. Grmpf. Nun ja, ich kann mir ja überlegen, ob ich an diesem Zustand etwas ändern möchte. :-)

Später. Morgen ist auch noch ein Tag.