Reif für die Insel: Rügen im März 2013

Dienstag, 05.03.2013: Ein rundum gelungener Tag!


Der Tag beginnt halbwegs ausgeruht - mit dem harten Sofa kann ich mich besser anfreunden als mit der weichen Matratze -, mit einem Ständchen und einem Gabentisch, Kerzen inklusive. Die selbstgestaltete Glückwunschkarte mit den verwendeten Worten berührt mich ungemein. Ich wollte heute nirgendwo anders als hier mit den Mädels sein!

Dagegen schießen mir beim Durchblättern des geschenkten Buches "Motorradabenteuer - Fahrtechnik für Reiseenduros" Gedanken wie "Hoffentlich gelangst Du nie in solche Situationen!" durch den Kopf!

Heute eh nicht, denn wir wollen wieder mit Bus & per pedes losziehen. Diesmal in Richtung Süden, ein wenig Geschichte & Kultur vor die Linse nehmen: ehemaliges KdF-Seebad Prora, Seebad Binz, Rasender Roland, Jagdschloss Granitz. Und zum krönenden Abschluss des Tages lecker essen in einem sehr gerühmten Fisch-Restaurant in Sassnitz.

Aber zuerst steht das Frühstück an. Blick aufs Meer, blauer Himmel, Sonnenschein - kann der Start in den Tag schöner sein? Wenig später machen wir uns auf den Weg zum Busbahnhof und frotzeln, dass wir angesichts der gestrigen Bus-Erlebnisse nun vermutlich inselbekannt sind.

Und treffen prompt am Bahnhof auf eine Busbegleitung vom Vortag, die uns auf der letzten Etappe in Richtung Königsstuhl noch den Weg gezeigt hatte. "Na, sind Sie gestern noch gut zum Königsstuhl gekommen?" Wir schauen uns an, grinsen, zucken mit den Schultern - ist klar, wir drei fallen irgendwie immer wieder auf. :-)

Die Hilfsbereitschaft der Inselbewohner erfahren wir auch heute wieder. Auf die Frage an den Busfahrer, welche Haltestelle die beste ist, wenn wir auf halber Höhe des ehemaligen KdF-Seebads Prora aussteigen wollen, neigt sich eine ältere Dame uns zu und fragt, ob wir denn an den Strand wollten und empfiehlt uns prompt von den vielen Haltestellen in Prora die der Jugendherberge. Herzlichen Dank!

Gesagt, getan, wir steigen bei der Jugendherberge aus. Hier gibt's tatsächlich einen direkten Schleichweg-Zugang zum Strand, allerdings befinden wir uns doch sehr weit im Norden dieses 4,5km-langen Kolosses, den wir nun in Richtung Binz abzulaufen haben.

Von den erdrückenden Dimensionen dieses gigantomanischen, von Adolf Hitler im Zeichen der ideologisch und propagandistisch geprägten Sozialpolitik initiierten Bauprojekts entfernen wir uns bald wieder.

Vom Strand aus fallen die überwiegend unvollendeten, mehr und mehr verfallenden Bauklötze weniger auf, da sie durch einen kleinen Kiefernwald verdeckt werden, aber der Kontrast hat sich erst einmal vor dem geistigen Auge eingebrannt.

Von 1935-39 entstand der so genannte Koloss von Prora, wo einmal 20.000 Menschen gleichzeitig Urlaub machen sollten. Der Beginn des 2. Weltkrieges brachte den Stop der Bauarbeiten, die Anlage wurde nie komplett fertiggestellt.

Auf 4,5km Länge erstrecken sich in der weitläufigen Bucht zwischen Sassnitz und Binz die heute noch verbliebenen acht Blöcke des denkmalgeschützten Komplexes, der neben dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg die größte geschlossene architektonische Hinterlassenschaft der NS-Zeit bildet.

Nachdem wir die hässliche, weil voll betonierte, aber unvollendete Seebrücke - das einzige Bauwerk von Prora, das bis ans Meer reicht - umrundet haben, haben wir freie Sicht über den kilometerlangen Strand. In der Ferne schimmert Binz.

     

Hier wollen wir eine weitere Attraktion von Rügen unter die Lupe bzw. die Räder nehmen: den Rasenden Roland, eine dampfbetriebene Schmalspurbahn, die u.a. die Seebäder Binz und Sellin verbindet. Da der Zug in der Nebensaison nur alle zwei Stunden fährt, müssen wir selber Dampf geben, wenn wir planmäßig um 12h40 am Ostbahnhof von Binz sein möchten.

Wir versuchen uns in einer Kombination aus Seele baumeln lassen und zügigem Voranschreiten, doch bei dieser Entfernung und ohne feste Anhalts- oder Wegpunkte haben wir das Gefühl, auf diesem endlosen Strand keinen Meter voranzukommen. Und die Zeit läuft.

Wir genießen dennoch die Sonne, die da vom wolkenlosen Himmel auf uns niederbrutzelt, gehen auf Muschel- und Möwenjagd und lassen irgendwann den Herrgott einen guten Mann sein.

Ich schaue die Mädels an und meine "Hey, das ist mir jetzt grad zu stressig! Wir haben schließlich Urlaub! Wie wär's, wenn wir erst einmal gemütlich einen Kaffee in Binz trinken und dann den Zug um 14h40 nehmen?" Sollte doch - auch zeitlich - kein Problem sein, die knapp zwei Stunden bis zur nächsten Roland-Abfahrt in der Sonne zu verbringen!?

Vorschlag angenommen, und plötzlich ist die Anspannung wie weggewischt. In der verkehrsberuhigten Hauptstraße von Binz steuern wir in der Nähe der Seebrücke ein italienisches Eiscafé an. Der Platz in der Sonne lässt uns auf mehr als einen Latte Macchiato verweilen ... bis die Uhr plötzlich wieder lauter tickt! Huch, wo ist die Zeit hin?

Die Zeit für einen Gang über die 370m lange Seebrücke (und wieder zurück!) nehmen wir uns dennoch. Die Seebrücke in ihrer heutigen Form wurde 1994 errichtet, über 50 Jahre nach der Zerstörung der letzten Seebrücke, die im Winter 1942 der Witterung zum Opfer fiel. Sie ist nach der Seebrücke in Sellin die zweitlängste Seebrücke der Insel.

Die Blick vom Ende der Seebrücke fällt auf das im Jahre 1890 eröffnete Kurhaus, zu deren ersten Gästen Kaiserin Auguste Viktoria zählte. Der heutige und für die Bäderarchitektur typische Bau stammt aus dem Jahr 1906 und hat den 2. Weltkrieg nahezu unbeschadet überstanden. Heute beherbergt es ein Luxushotel.

Wir verzichten auf jeglichen Luxus und sputen uns in Richtung Ostbahnhof, um nicht noch einmal den Rasenden Roland zu verpassen. Zeitgleich mit ihm treffen wir im Bahnhof ein.

     

Gottseidank ist allen - Dampflok inklusive - noch eine kleine Verschnaufpause vergönnt, die wir schnell für ein paar Fotos nutzen, bevor sich die historische Bahn unter Zischen und Dampf für gute 7 Minuten lang durch das Biosphärenreservat Granitz in Richtung gleichnamiges Jagdschloss in Bewegung setzt.

Dabei ist der Zug weit mehr als eine reine Touristenattraktion, sondern auch ein von den Einheimischen viel genutztes Verkehrsmittel auf der 1895 eingerichteten Strecke Putbus - Binz.

Von der Haltestelle "Jagdschloss" aus geht es in wenigen Minuten zu Fuß hinauf zum Jagdschloss Granitz, das mitten auf der höchsten Erhebung Ostrügens, dem 107m hohen Tempelberg thront.

Es wurde in der ersten Häfte des 19. Jh. im Stil der norditalienischen Renaissancekastelle errichtet. Markant ist vor allem der nachträglich errichtete, 38m hohe Mittelturm.

In seiner Besteigung steht heute Iris' härteste Prüfung bevor, denn es gilt, eine innenliegende freitragende Wendeltreppe mit sicht-offenen gusseisernen Stufen zu erklimmen. Nicht wirklich was für Menschen mit Höhenangst.

Doch Iris wäre nicht Iris ... und steht wenig später auf der Aussichts-
plattform
auf 145 ü.NN und wird mit einem gigantischen Weitblick über das Waldgebiet der Granitz und über die Ostsee belohnt.

Hat auch den Vorteil, dass die wunderliche Farbgebung des meist-
besuchten Schlosses
von MeckPomm - Rosa und Mintgrün - nicht mehr ganz so stark ins Auge fällt.

Wow! Sooo viel Landschaft! Doch irgendwann ... schon klar, die Zeit, sie lässt sich nicht anhalten. Und wer will sich schon vor die Eisenbahn werfen?

Der Rasende Roland faucht zurück nach Binz. Doch bis zur Rückfahrt mit dem Bus nach Sassnitz bleibt noch ein wenig Zeit, die für einen Spaziergang zum Schmachter See, im süd-westlichen Teil von Binz gelegen, genutzt wird. Hier im Naturschutzgebiet wird der Abschied mit einem wunderschönen Abendlicht versüßt.

Ohne nenneswerte Vorkommnisse bringt uns der Bus zurück nach Sassnitz. Zügigen Schrittes geht es zur Pension, wo wir uns schnell frisch machen, um dann den hungrigen Magen zu besänftigen.

     

"Gastmahl des Meeres" - so der Name des im Reiseführer hochgelobten Restaurants im Hafen von Sassnitz, dessen Spezialität eine umfangreiche Fisch- und auch Weinkarte sein sollen. Wir sind gespannt. Der Name klingt nach "Herzlich Willkommen."

Und so fühlen wir uns von den gutgelaunten Bedienungen, die sichtlich Freude an der Ausübung ihres Berufes haben, auch empfangen. Die Getränkewahl ist schnell getroffen. Die Essenswahl dagegen nimmt deutlich mehr Zeit in Anspruch. Die Auswahl ist groß und jedes einzelne Gericht klingt unglaublich lecker.

Ich entscheide mich für Sassnitzer Pfannfisch vom Dorsch auf Bratkartoffeln mit Rauchspeckstreifen und Tomaten-Zwiebelbutter. Keine falsche Wahl, wie ich beim ersten Bissen feststelle. So ein saftiges, leckeres Fischfilet habe ich noch nie gegessen! Zum Reinknien!

Ein Blick in die Gesichter meiner Mädels zeigt, dass jede mit ihrer Wahl mehr als zufrieden ist. Schön, das freut mich, denn schließlich sind sie heute Abend meine Gäste.

Und weil da ganz bestimmt noch ein klitzekleinesbisschen Platz irgendwo im Magen ist, muss noch ein Nachtisch, eine regionale Spezialität namens Sanddorn-Parfait nachrutschen. Hmmm, ein Genuss.

Zum Abschluss eines nicht nur perfekten Abends, sondern eines rundherum gelungenen Tages gibt's noch einen Grappa oben drauf - der Fisch muss ja schließlich schwimmen! - bevor wir den kurzen Fußweg in Richtung Pension einschlagen.

Wir empfinden alle eine unglaubliche Zufriedenheit und kriechen mit derselben ins Bett und wollen noch nicht daran denken, dass am nächsten Morgen schon wieder die Heimfahrt in Richtung Alltag ansteht. Bis der Kopf abschalten kann, dauert es noch eine Weile. Unendlich viele einzelne Momente dieses rundum gelungenen Tages schwirren noch lange durch meinen Kopf.

Kleine Fluchten - hier auf Rügen haben wir definitiv eine gefunden!